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Archives: September 2025

 
 

 Non vivere … scribere!

 
 

Obwohl dieser Film hier im Blog kurz nach seinem Erscheinen schon einmal besprochen und auch goutiert wurde, habe ich nun doch dem Regisseur, den ich eigentlich furchtbar dröge finde, eine Chance gegeben, nachdem ich „Undine“ überraschenderweise ganz erfrischend fand – in Abhebung von seinen anderen vorher vorgeführten Gespenstern und anderen seltsam unverorteten Gestalten, zu denen ich schwer Zugang finden konnte – lag natürlich auch an dem perseverierenden Einsatz von Nina Hoss und ihrer Aura von beleidigter Leberwurst.

Also Roter Himmel im Tagesprogramm geguckt. Als erstes registrierte ich das Auftauchen zweier anderer Filme in meinem Kopf, die hier in der Überschrift aufscheinen – als erstes Rossini von Helmut Dietl, eine Art filmischer Schlüsselroman über die Münchner Bussi-Gesellschaft mit Dietls bekannt-bissigem Humor. Ein schwer soziophobischer Schriftsteller ist verliebt in die italienische Kellnerin seines Stammrestaurants, die ihm täglich sein Essen in einem kleinen Nebenraum serviert (karikiert wird hier Patrick Süskind, der auch nett und selbstkritisch am Drehbuch mitschrieb). Als sich für die Dame die Gelegenheit ergibt, ihm an die Wäsche zu gehen, ergreift ihn Panik und er rettet sich mit dem oben erwähnten Kultsatz: Non vivere – scribere!

Das passt auch auf die Hauptfigur in Roter Himmel – Leon zieht sich an die Ostsee in ein Landhaus zurück, um sein Buch zu schreiben. Ihm dabei zuzusehen, wird zu einem quälenden Prozess – umgeben von einer seltsam belebten Natur und unruhig sich bewegenden Bäumen und Sträuchern, die für jeden Antonioni-Fan sofort das berüchtigte Blow-up- Gefühl erzeugen. Und ebenso wie Blow-up-David zerrinnt Leon ebenso jede sich bietende Gelegenheit Leben zu spüren zwischen den Fingern, während sein Freund Felix diese lustvoll ergreift. Die unheilvoll lebendige Natur und das graue, unruhige Meer, eine sich im Wald entfaltende und nahekommende Feuerwand bilden extrapoliert die innere Landschaft von Leon ab – Gefühle und Lebendigkeit sind bedrohlich und vernichtend – Felix und sein neuer Liebhaber Devid werden darin verglühen. Liebe ist tödlich – darauf werden wir eingestimmt durch die Eisverkäuferin Nadja, die Das Gedicht Der Asra zitiert und von den Liebenden von Pompeji erzählt, deren versteinerte Körper man in der Asche gefunden hat. Und natürlich ihre Netze nach Leon auswirft, der auch am Strand seine schwarzen Klamotten anbehält wie eine Mönchskutte. Petzold schichtet die Dramen des Alltags über die Katastrophenerfahrung einer brennenden Landschaft, so wird das Ferienhaus am Meer zum Resonanzraum für das Ineinander von Begehren, Eitelkeit, Angst und schöpferischem Anspruch. Während Leon an seinem Romanprojekt scheitert und seine narzisstische Deformation offenbart, verkörpern Nadja, Felix und Devid unterschiedliche Lebenshaltungen – Leichtigkeit, Sinnlichkeit, Offenheit.

 
 

 

 

 
 

Die Katastrophe selbst, das Feuer, bleibt zunächst ein atmosphärischer aber immer präsenter Hintergrund, wird dann aber zum Schicksalsmoment: Felix und Devid kommen bei einem Ausflug darin um, Nadja kehrt am Ende im Rollstuhl zurück. Diese Verstümmelung lässt sich auf mehreren Ebenen lesen: Als Schock der Realität – das Feuer, das zuvor nur Metapher und Stimmung war, hat reale, irreversible Konsequenzen. Der Sommer ist kein leichtes „Intermezzo“ mehr, sondern brennt sich in Körper und Biografie ein. An der Liebe kann man zugrunde gehen, Leons Pessimismus hat sich damit erfüllt. Damit kommt es auch zu einer Umkehrung der Rollen: Nadja, die im Film als souverän, körperlich, fast unantastbar erscheint – selbstbestimmt und sinnlich –, wird plötzlich die Verletzliche. Das unterstreicht die Fragilität aller Figuren, auch derjenigen, die bisher als „Lebensgewandtere“ schienen. Als Spiegel von Leons Scheitern. Nadjas Rollstuhl steht in einer gewissen Ironie gegen Leons Werk: während er seine literarischen Texte ins Leere laufen lässt, wird ihr Körper von der Geschichte gezeichnet. Was er nicht zustande bringt – eine Spur, eine Wirkung, eine bleibende Form – schreibt sich in sie ein. Die Lebenszugewandten sind auch die Verletzlichen und tragen ihre Zeichen – das kennt man.

Als Kommentar zur Zeitdiagnose: Petzolds Kino arbeitet oft mit dem Motiv der Verletzung und der Versehrtheit. Nadjas Schicksal erinnert daran, dass man aus den Katastrophen unserer Gegenwart – ob ökologisch oder existenziell – nicht unversehrt hervorgeht – dies nur der Vollständigkeit halber. So markiert Nadjas Rollstuhl am Ende nicht nur ein individuelles Unglück, sondern den Umschlag des Films vom sommerlichen Kammerspiel in eine existenzielle Allegorie: der rote Himmel als Menetekel, das aus Leichtigkeit Ernst macht, aus Möglichkeit Verletzung, aus Übergang Dauer – fast eine Parabel über die Gefahren von Glück. Parabeln pflegen mich in der Regel zu langweilen – dieser Film tut es nicht, ich fand ihn quälend; Petzold hat gelernt, Gefühle zu erzeugen. Am Ende des Films liest Leon die Geschichte von Felix, Devid und Nadja als neuen Roman seinem Verleger vor. Scribere, non vivere! Hat er ihn auch begriffen? Wieviel von Leon steckt wohl in Petzold, der mich früher so trefflich einschläfern konnte?

 

 
 

Ist Magic Mike feministisch beziehungsweise allgemein gefasst: Erfüllen Filme über männliche Stripper und sonst wie käufliche Mannsbilder die in Stein gemeisselten Gebote und Vorgaben des emanzipatorischen Zeitalters oder leben solche Narrative nur vom mittlerweile auch schon angeranzten Reiz des Rollentauschs der Geschlechter? Die Kritiker und Filmtheoretiker (männlich) behaupten das von der dreiteiligen und sehr erfolgreichen Geschichte um den attraktiven Stripper Magic Mike (Regie Steven Soderbergh, Drehbuch und Produktion auch von irgendwelchen Herren). Der Film handle unterschwellig von der „Ökonomie weiblichen Begehrens“ und deren visueller Umsetzung in einer Art Dirty Dancing for adults. Muskelbepackte halbnackte Kerle schwenken Frauen wild durch die Gegend und initiieren Körperverrenkungen, die eher akrobatisch als erotisch wirken. Kraftvolle Hüftstösse fehlen nicht, aber das kennen wir schon von Elvis. Die Damen schmiegen sich hingebungsvoll in die gewünschten figuralen Settings und das Umeinanderwickeln ähnelt zunehmend der Verfilmung von zwei Boas im Liebestanz. Liebhaber von Tanzfilmen werden hier gut bedient und die Sache ist durchaus unterhaltsam – aber feministisch? Natürlich werden die Jungs für das Geturne bezahlt und verhalten sich entsprechend woke, das heisst sie fragen vorher, ob und wo sie die Frau anfassen dürfen, ein bisschen Tribut an den Zeitgeist muss ja sein. Die Damen scheinen es zu mögen, zumindest hier. Magic Mike – sein letzter Tanz gerät nun vollends zum Pretty-Woman-Verschnitt: Reiche Frau mietet sich einen Stripper und bringt mit ihm eine opulente Tanzshow auf die Bühne.

 
 

 
 

Natürlich verliebt sie sich – eine erwartbare seichte Heteroromanze nach dem hier zitierten Motto: Frauen können alles haben, wo und wann sie es wollen. Klar, die Dame ist Millionärin. Aber Feministisch? Wenn doch, dann ist Feminismus scheinbar eng mit dem Geldbeutel verkoppelt. Salma Hayek wird während des ganzen Films in barmherzigem Halbdunkel gehalten – klar, die Dame wird demnächst sechzig. Feministisch?

 
 

 
 

Eine Rezensentin sprach von feminist masterpiece und female empowerment. Aber ist es Feminismus, wenn sich diesmal eine Frau einen Kerl kauft statt umgekehrt? So bleibt phantasielose Retro-Dichotomie, halt mal linksrum, so geht’s halt, wenn alte weisse Männer einen Film drehen über weibliches Begehren. Dabei haben Männer durchaus Sinn für subtile Erotik – ein Patient berichtete mir einst, der erotischste Szene in einem Film sei für ihn die gewesen, in der eine Frau einen Mann nicht aus – sondern anzog, nämlich Tom Cruise, der von ihr richtig langsam und  genüsslich seine mehrteiligen Samurai-Klamotten angezogen bekam. Die Szene hat tatsächlich was.

Ansonsten geniesst man virile Tanzszenarien und macht sich ein paar angewärmte Gedanken über den Tanz als Übergangs- und Sublimationsraum zwischen den Geschlechtern. Mike setzt seinen Sexualtrieb nicht roh um, sondern sublimiert ihn, so wird die Bühne zum Kulturraum, in dem Sexualität symbolisch zelebriert wird, ein Raum voller Versprechungen und Andeutungen, aber auch der Regulierungen dessen, was da angedeutet wird, das wissen wir auch seit dem Aufkommen der Can-Can-Mädchen und später der Chippendales. Nur gucken, nicht anfassen, ausser um Geldscheine in den Slip zu stecken. So bietet der Film insgesamt eine etwas geistesschlichte Interpretation von Feminismus, indem er ihn auf Sexualität reduziert und weiterhin mit den herkömmlichen Schönheitsidealen und dem Warencharakter von Sexualität operiert. Und diesen Akt der Käuflichkeit schliesslich durch Liebe adelt. Das ist sehr wohlfeil.

Okay, jetzt haben wir das Ticket, uns einen Mann kaufen zu dürfen – und nu? War es das, was wir wollten?

 

2025 3 Sep.

„scratch 22“

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