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2025 20 Aug.

Ferien in Entenhausen – Die Abschaffung von Familie

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 1 Comment

Gesegnet sei der verregnete Juli, gab er mir doch die Möglichkeit, mein Haus zu entrümpeln, was kein einfaches Unterfangen ist, wenn man kistenweise Schneider-Bücher und Micky-Maus-Hefte aus den Fünfzigern und Pardon-Hefte aus den 60ern vorfindet, weiter Konkret, Slapstick und alles andere als jugendfreie Undergroundcomics. Man liest sich gnadenlos fest und der Sommer vergeht wie im Fluge, was nicht immer ein Nachteil ist.
So landete ich mitten in den Ferien in Entenhausen und begrüsste alte Freunde wie Donald, Onkel Dagobert, Tick, Trick und Track und den kleinen und den grossen Wolf. Das Eltern-Kind-Verhältnis in dieser Zeit war nicht das Beste – schwarze Pädagogik, Prügelstrafen, verkappte oder bekennende Nazis in der Elterngeneration, am liebsten wäre man auf und davon gegangen, geistig-seelisch tat man es sowieso, indem man die Kultur des „Feindes“ freudig assimilierte, pflegte und verteidigte: Ohne Comics, Micky Maus und Rock’n Roll ging gar nix mehr.

Aber man liest jetzt mit anderen Augen: Seltsam unverortete Wesen, die das Schicksal zusammengewürfelt hat, tummeln sich hier in den bunten Heftchen: Donald hat Neffen, aber keine Geschwister, niemand hat Eltern oder Kinder, niemand einen Partner, Donald hat eine Oma, aber keine Eltern und mit Daisy Duck und Donald erleben wir Wagner-artige Tragik: Es geht immer nicht. Pairing scheint unmöglich. Mit Micky und Minnie ist’s ähnlich. Der hoffnungslos parentifizierte kleine Wolf hat einen Vater, um den er sich ständig kümmern muss, aber keine Mutter, die sich um ihn kümmert, Goofy segelt ausschliesslich in Mickys Schlepptau und als Hintergrundfolie durchs Leben, Pluto desgleichen- übrigens die einzige Figur, die nicht vermenschlicht wurde und weiterhin in seiner Hütte leben und auf vier Beinen laufen darf.

 

   
               
Seltsam gebrochene und defizitäre Figuren, die unverzagt durch die immer gleichen lustigen Abenteuer turnen. Elternverlust und Elternlosigkeit spielen auch in den späteren Filmwerken der Disney-Company eine Rolle, wenn man Dumbo, Bambi und den dramatischen Vaterverlust im König der Löwen miteinbezieht, bei dem viele Kinder heulend aus dem Kino kamen, Pocahontas ist Halbwaise, Lilo Vollwaise und Mogli vollends ein Wolfskind und wenn Mütter auftreten, verschwinden sie auch ebenso schnell wieder von der Bildfläche.
Erst in den Neunzigerjahren darf es Eltern geben – Mulan und Merida stammen aus Familien, wenn auch konfliktreichen. Dazwischen alleinstehende Sonderlinge wie Dagobert Duck, Gustav Gans, Daniel Düsentrieb und Goofy. Ein merkwürdiges Sammelsurium von Junggesellen und broken homes, keine Paare, keine Familien, niemand muss in die Schule oder Hausaufgaben machen. Und genau das hat uns vermutlich so gefallen – die völlige Abwesenheit von Alltagszwängen und regulierenden Erziehungsfiguren und sonstigem Einengenden, stattdessen chaotischer Alltag und das anarchische Leben vom Schlag einer Pippi Langstrumpf – auch Halbwaise – nur Susi und Strolch gründen eine Familie. Soviel zur psychologischen Lesart.
Es gibt natürlich auch die Möglichkeit zum gesellschaftlichen Diskurs: Adorno meinte die häufigen Prügel, die die cholerische Ente Donald vom Leben immer wieder bezieht, helfen dem Konsumenten sich an die eigenen Entfremdungsprügel zu gewöhnen.
Linke Publizisten entdeckten den geknechteten Proletarier unter der Knute des Erzkapitalisten Dagobert Duck. Die symbiotisch verknüpften Drillinge Tick, Trick und Track, die oft für einen einzigen Satz 3 Sprechblasen verbrauchten („Der Alte … spinnt … mal wieder!“) verkörperten die revolutionäre Jugend mit ihren vielen kleinen Siegen gegen das Spiessertum, desgleichen die drei kleinen alleinlebenden Schweinchen, die auch prima zurechtkommen. Märchen und Abenteuerphantasien liessen sich problemlos „disneyfizieren“ und bald traf sie der Bannstrahl der postfaschistischen deutschen Elterngeneration, Religionslehrer lehnten sich dagegen auf, dass Tiere vermenschlicht wurden und auf zwei Beinen liefen – aber das wahre Revolutionäre war wohl die Botschaft: Raus aus dem Familienmief! Es geht auch ohne Eltern! Vielleicht sogar besser?!
Micky Maus und Donald waren schon seit 1930 eine feste Grösse, die auch in Deutschland ein Bein auf den Boden bekam, 1951 erschien das Heft dann zuverlässig wöchentlich und setzte mit den Grundstein für eine neue Jugendkultur, wie es in der Musik der Rock’nRoll tat, etablierte neue Mythen, eine neue Ästhetik und vor allem eine neue Sprache zur Beschreibung von Affekten: Knirsch, heul, schluchz, jammer, kreisch – in seiner Präzision unschlagbar und jeglicher Lyrik weit überlegen und die Eltern und Lehrer befürchteten das Aufkommen einer Zeit, in der man nur noch über Disney-Codes miteinander kommunizierte und sahen den Untergang des Abendlandes heraufdämmern.  Und wir warteten aufs neue Heft wie der Löwe aufs Futter und strahlten wie Daniel Düsentrieb bei einer neuen Erfindung oder Onkel Dagobert beim Baden in seinem Geldhaufen.

Freu!

This entry was posted on Mittwoch, 20. August 2025 and is filed under "Blog". You can follow any responses to this entry with RSS 2.0. You can leave a response here. Pinging is currently not allowed.

1 Comment

  1. Anonym:

    Da werden Erinnerungen wach – am liebsten mochte ich den kleinen bösen Wolf, vor allem weil er seine Freunde auch gegen die eigene Familie beschützte und nicht nur seinen Instinkten folgte. Das hat mir sehr imponiert. Donald nahm man ja nie ganz ernst, auf den konnten die Negativprojektionen abgeladen werden. Micky war dagegen farblos.

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