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2025 27 Juli

Digitale Medien – Paradies oder Apokalypse?

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | No Comments

 
 

Wohin balancieren wir? Die Medienwissenschaftler werden es uns nicht sagen, die sind zu beschäftigt mit ihren konträren Ansätzen über die Rolle der Post-post-Medien in der späten Postmoderne und der postmodernen Consumer. Irgendwie scheinen immer beide Parteien recht zu haben – das war früher auch einfacher.

Die Medienwissenschaftler Georg Seeßlen und Markus Metz äussern sich über die gegenwärtige Medienlandschaft in ihrem umfangreichen Werk Blödmaschinen – es geht um Medienprodukte, die Kommunikation, Urteilskraft und intellektuelle Betrachtung einschränken, einfache Narrative erschaffen und auf Stereotype eindampfen, um Aufmerksamkeit, Konsum oder Zusammenschluss zu erzeugen. Neoliberale Gesellschaftsstrukturen begünstigen diese Prozesse. Nun kommt einem das Ganze auch ein bisschen bekannt vor – die Gesellschaftstheorie der 60er Jahre beschäftigte sich ebenso mit Verdummungs- und Gleichschaltungsmechanismen von Presse und Fernsehen – der Rundfunk geriet damals bereits sehr ins Hintertreffen und beschäftigte sich eher mit Erhaltung von herkömmlicher Kultur. Das ist also im Prinzip nicht neu, wird von den Autoren aber ausgeweitet auf Popkultur, social media, digitale Plattformen, Blogs und Chatrooms und sicher noch einiges mehr, das mir jetzt nicht einfällt.

„Blödmaschinen“ erzeugen kollektive und individuelle Erregung, Like-Ökonomie (Ich werde wahrgenommen, also bin ich – kurz gesagt: Ich poste, also bin ich!), Algorithmenlogik (Ich bin die Summe dessen, was ich gepostet habe!) und kollektive Zoobesuche (Reality-TV; so blöd wie die da bin ich noch lange nicht!). Das geht nicht nur in die Verdummung, sondern in die Identität, es entsteht ein neues Konstrukt des „postenden“ Menschen (eine Art digitaler Avatar – oder sagen wir „homo posting“) im Netz, das durchaus eine Verwirrung erzeugen mag, wer man jetzt eigentlich noch ist. Das geht schon tiefer als die Machenschaften der Springerpresse, die sich auf Meinungsmanipulation beschränkte – was schon schlimm genug war. Auf diesen meines Erachtens qualitativen Sprung gehen die Autoren leider nicht ein, sie verbleiben auf der Ebene der mentalen Manipulation, wobei heutzutage das Ganze schon eine Entwicklung in psychiatrische Zustandsbilder nehmen kann.

Dem Rechnung tragen sie aber dann doch mit der Entwicklung einer Theorie der Regression ins Paranoide (was strenggenommen keine Regression ist sondern ein Projektionsvorgang beziehungsweise eine Umpolung unserer Wahrnehmung), erläutern das am Beispiel von Verschwörungstheorien, QAnon- und Querdenker-Bewegung und dergleichen, was wir inzwischen allzu gut kennen, Denksysteme, die durch Entwicklung neuer Kausalitäten (Hinter allem stecken die Reptiloide!) die Welt erklärbar machen und dadurch eine Scheingeborgenheit bieten.

Der Medienwissenschaftler Henry Jenkins teilt den Pessimismus Seeßlens & Co nun wieder nicht. Die Generation Tiktok sei kreativ, finde neue Algorithmen, remixe Narrative, sei imstande, sich sekundenschnell zu vernetzen, sehe die Kulturindustrie als ein Medium zur Bedeutungserschaffung, neuen Kämpfen und Teilhabe – die Macht ist nicht nur bei der Maschine, sondern auch beim User, man kann auch einen flashmob für sinnvolle politische Organisationen kreieren. Vernetzung ist die neue Waffe der GenZler, die alle Codes im Netz kennen. Seeßlen und Metz glauben hingegen nicht an die Schwarmintelligenz der Usergeneration und würden höchstens erwidern, dass sie diese dann zu antisemitischen Aufmärschen nutzen würden. Und dass die Maschinen nicht an mündigen Bürgern interessiert wären, sondern lediglich an Reichweite. Und Kohle natürlich, für die, die immer schon welche zu machen verstanden und sich auch hier wieder mit reinhängen.

Was die Medienkritiker betrifft – vermutlich haben beide recht (und beziehen sich nur auf unterschiedliche Zielgruppen) und vermutlich ist es auch gut, dass der ganze Komplex polarisierend diskutiert wird in einer Zeit, in der die Schere zwischen intelligent und doof immer mehr auseinanderzugehen scheint. Schade, dass Medienexperten offenbar immer auf dem jeweils anderen Auge blind sind. Als Grundlagenliteratur sind die Bücher auf jedenfall empfehlenswert.

 
 

                 

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