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Archives: Juli 2025

 
 

Ich bin Dein Mensch (D, 2021) von Maria Schrader

 
 

 
 

Im Zeitalter von Algorithmen und Chatbots ist ein Film über virtuelle Helfer mit physischem Erscheinungsbild, vulgo Roboter, Bots, kybernetische Organismen oder Androiden genannt, natürlich überfällig. Unter Maria Schraders Regie sind sie diesmal auch nicht mit Töten beschäftigt, sondern mit Dienen und Lieben – das ist von der Themenwahl hoch einzuschätzen und macht neugierig. Leider fehlt es Schrader bei diesem löblichen Vorhaben offenbar an einer zündenden Idee und so serviert sie uns einen etwas dünnen Aufguss mit einer emotional ausgehungerten Wissenschaftlerin, die einen attraktiven Roboter auf seine Eignung als Partnerersatz testen soll und dabei einen Konflikt zwischen ihrem Neokortex und ihrer Amygdala auslöst – welche Hirnstruktur am Ende dominiert, soll hier nicht verraten werden. Warum eine Expertin für Keilschrift-Lyrik auch als Expertin für Roboterbegutachtung brauchbar sein soll, erschliesst sich im Drehbuch nicht. Eine Psychotherapeutin wäre besser gewesen – da könnte ich mir einige pfiffige Dialoge vorstellen – und dazu Lesbe oder radikale Feministin. Oder weiss der Teufel, der mich anscheinend gerade wieder reitet.

Der Bot heisst Tom und erfüllt alle Frauenwünsche, vom Champagnerfrühstück, Brötchenholen, Saubermachen, im Freundeskreis reüssieren und bella figura abgeben, Rumbatanzen und im Bett Freude bereiten – every inch a gentleman – nur den feurigen Rumbatänzer will man ihm nicht so recht abkaufen – Rumba funktioniert nicht gentlemanlike, da muss ein wohldosierter Schuss männlicher Zugriffsfreudigkeit mit in den Cocktail. Patrick Swayze mit seinen Bizepsen lässt grüssen, der lehrte uns einst, was erotisches Tanzen bedeutet, da kann der schmächtige Tom einpacken. Der mag ja gut aussehen, aber viel Testosteron traut man ihm nicht zu und als es endlich zur Sache geht erlebt man – nun ja, Roboterliebe. Wer’s mag …

 
 

 
 

Dass da ein reichlich angeranztes Frauenbild zwanglos mithineinverwoben wird, dürfte klar sein. Fetziger wäre es gewesen, wenn die Protagonistin mit Hilfe ihres Bots vielleicht eine Doktorarbeit schreiben würde, sich ärgern würde, weil er immer gescheiter ist … oder … oder zwei Bots zur intellektuellen challenge aufeinanderhetzt … nur mal so angedacht. Aber nee, es muss die schwer angestaubte Nummer mit dem Champagnerfrühstück sein; naja, Maria Schrader ist ja auch nicht mehr die Jüngste und daher noch der klassischen Beziehungsdrama-Ära verhaftet. Und ein Beziehungsdrama wird hier geboten beziehungsweiseder Konflikt der etwas sauertöpfischen Wissenschaftlerin, die Emotionen für ihren Tom entwickelt, obwohl sie sie nicht entwickeln will und andererseits in einem beeindruckenden Monolog erkennt, dass sie kein wirkliches Gegenüber hat, ständig auf sich selbst zurückgeworfen wird und letztlich immer mit sich selbst kommuniziert, und damit die tiefere Bedeutung von Tom nicht nur als Wunscherfüller, sondern als Projektionsträger erkannt hat; doof ist sie wenigstens nicht. Einer der starken Momente des Films. Liebe ist hier eine wohlfeile Illusion und reichlich Verdrängung ist angesagt, damit das Modell funktioniert. In Toms Makellosigkeit entdeckt Alma ihren eigenen Schatten in Form der Angst, nicht liebenswert zu sein, wenn man nicht perfekt ist. Trotz dieser Schwächen ist der Film ein Fundus von geschickter Seelenauslotung, Wünschen, Trieben, narzisstischen Kränkungen und nicht gelebter Trauer und beschäftigt sich mit den zentralen Fragen, was den Menschen zum Menschen macht und was wir in der Liebe suchen und vor allem über Projektions- und Übertragungsmechanismen. Zudem lebt man bei Tom in der Situation des permanenten Betrugs: Wo man glaubt Empathie erleben zu dürfen, rumpelt man auf einen Algorithmus. Und dummerweise ist der perfekte und beherrschte Tom auch ein ständiger Spiegel für die eigene Unperfektheit, was die bindungs- und näheängstliche Alma besonders trifft, zudem ist er schlimmer als jede Schwiegermutter, weil er immer weiss, was sie braucht, noch bevor sie es selbst merkt, das nervt auch die geduldigste Keilschriftenleseratte.

 
 

 
 

Am Ende dann ein seltsamer Twist: Tom fällt etwas aus der Rolle, als ihm seine Herrin mitteilt, dass das Experiment beendet ist und fragt mit verlorenem Gesichtsausdruck, wo er denn jetzt hinsolle (was ja keine Frage ist – zurück zum Hersteller natürlich, oder halt auf den Schrottplatz …). Ein Patzer im Drehbuch oder eine absichtlich eingebaute Beziehungsverwerfung? Zum erstenmal ist Tom ratlos, der sonst auf jede verbale und nichtverbale Aktion zu antworten wusste, wirkt wie ein verirrtes Kind. Auf Alma verfehlt dies ihre Wirkung jedenfalls nicht, sie sieht ihre Einsamkeit und Unverortetheit darin gespiegelt, zum erstenmal wird die Bindung zwischen den beiden plastischer – Alma reagiert bezogen und fast mütterlich. Und offenbar kann der untadelige Tom auch noch hellsehen, denn am Ende trifft man sich an einem weit entfernten Ort wieder, ohne verabredet zu sein – am Ort einer gemeinsamen selbstkonstruierten Vergangenheit, die erstellt wurde damit das Paar auf die Frage „Wo habt Ihr Euch kennengelernt?“ etwas zu entgegnen weiss. Dort wartet der Android geduldig auf einer Tischtennisplatte (ein Symbol für gelingende Kommunikation – oder eine Methapher für aggressives Hin- und Herballern), bis seine Chefin kommt, die nun zu einer Liebesbeziehung offensichtlich bereit ist. Ein seltsames und vieldeutiges Ende, das sich nicht zu einer „guten Gestalt“ runden will … aber das muss ja nicht schlecht sein. Kann man an einer Illusion gesunden?

Ein Film, der sich über weite Strecken nicht entscheiden kann, ob er Romanze, Komödie, Psychodrama, Sci-Fi oder philosophisches Lehrstück mit hoher Floskeldichte sein soll und in allen diesen Genres ein bisschen herumplätschert, der trotz eines einfachen Strickmusters, gelegentlicher Holperer und mässig inspirierender und etwas blutleerer Hauptdarsteller, zwischen denen es auch am Ende nicht richtig funken will, imstande ist durchaus interessantes Kopfkino mit allerlei psychologischen und existenziellen Fragestellungen auszulösen – die Diskussion ist bei dergleichen meist interessanter als der Film, das lernt jeder Filmfreak mit den Jahren auch zu schätzen. Sartre meinte auch dass man von den „guten schlechten Filmen“ mehr lerne und vermied die schlechten Guten, die hielt er für Zeitverschwendung – da bin ich durchaus der Meinung des grossen Alten.

Als Kontrastprogramm danach noch Der Geschmack von Rost und Knochen angesehen: Ein seltsamer Titel und ein Zitieren von etwas das übrigbleibt, wenn Organisches und Nichtorganisches vergangen ist. Eine Blaupause des oben Beschriebenen und ein Film über Verkrüppelungen an Körper und Seele, in denen die Menschen nicht an den Wohltaten des Lebens und der Menschen, denen sie begegnen, sondern an den Reibungen und Herausforderungen gesunden. Wer sich in Bezug auf Frauenwünsche besser amüsieren will, dem empfehle ich Der Auftragslover (F, 2010), hier werde die Wasfrauenwollen-Klischees so charmant und pointiert auf die Spitze getrieben, dass es wirklich witzig wird – die Franzosen können das halt einfach besser, die haben der Liebe den deutschen Bierernst gründlich ausgetrieben. Und Romain Duris, der Bursche mit dem leichten charmanten Überbiss, tanzt fast so gut Samba wie Patrick Swayze. Rumba sowieso.

Schon Freud war ja an der Frage „Was will das Weib?“ verzweifelt, dabei hatte er 5 davon im Hause (Dienstboten nicht mitgerechnet), die er nur hätte fragen müssen. Oder wahlweise halt dann einen Franzosen oder gleich Patrick Swayze. Aber ein wahrer Macho will ja nicht auf die Frau angewiesen sein, sondern alles alleine herauskriegen – aus diesem Grund blieb ein grosses Werk in diesem Bereich sehr lückenhaft und seine Analysen weiblicher Patienten teilweise schon Fälle für die heutigen Ethikkommissionen.

Und so bleibt am Ende der grosse Menschheitswunsch bestehen: Als inneres Objekt – wertgeschätzt und geliebt oder zumindest wichtig – im anderen abgebildet zu sein, diesen psychischen Raum bietet nur ein Mensch und kein Roboter, bei dem man dann analog zwischen digitalen Nullen und Einsen herumsitzt  – und dem das auch noch völlig wurscht ist.

 

 
 

Die Saat des heiligen Feigenbaums (D, F, 2024) von Mohammad Rasulof

 

Regisseur stammt aus dem Iran, wurde aufgrund regimekritischer Filme schon einige Male zu Haftstrafen verurteilt, nach der Premiere des genannten Filmes wurde erneut eine Haftstrafe verhängt, der er sich durch Flucht entzog. Sein Aufenthaltsort wird geheim gehalten.

Die Rezeption des Filmes begann für mich mit einer Verwirrung. Im Vorfeld hatte ich Rezensionen gelesen, in der der Plot als die Geschichte eines unter dem Druck des Systems zunehmend paranoid werdenden Teheraner Beamten und Familienvaters interpretiert wurde. Der Chatbot argumentierte auch in diese Richtung – beim Betrachten des Filmes kamen meine Mitgucker und ich selbst zu einem anderen Interpretationsansatz; diese Divergenz kann ich mir nur dadurch erklären, dass in totalitären Regimen die Trennlinie zwischen Normalität und Paranoia ohnehin sehr unscharf gezogen ist und der Aussenstehende zu anderen Bewertungen kommt als der im besagten System Grossgewordene. Wer da nicht paranoid wird, muss ein grosses Verdrängungspotential mobilisieren können und der Zuschauer hat erstmal Mühe, sich zu orientieren – immerhin gibt es beunruhigende Zeichen zu Anfang des Filmes: Der Protagonist blickt in den Spiegel und sieht dort einen verhüllten Kapuzenmann. Man ist also schon etwas psychiatrisch eingestimmt und ich musste mich erst mental umprogrammieren.

Der Film erweist sich also nicht als psychopathologische Studie, sondern als dramatischer Politkrimi mit sich steigernder Spannung und dem Dauerthema der Nahostländer: Den schweren Generationenkonflikten beziehungsweise dem Quantensprung der jüngeren Generationen vom Mittelalter in die späte Postmoderne – der in den westlichen Ländern in der Nachkriegszeit stattfand, aber nie diese Dramatik entwickelte, da dort keine so archaische Religiosität gelebt wurde – zumindest nicht mehr nach der letzten Hexenverbrennung – und die Säkularisierung früher stattfand; da setzte man dann doch zögerlich ein Bein auf die Erde und ins Zeitalter der Aufklärung, auch wenn’s zum Teil ein kühles Fussbad gab – aber alles besser als dieses Scheiterhaufengelodere.

Da entstehen in Old-Style-Familien in Nahost nicht nur die bekannten Generationenreibungen, sondern da muss man schon von Im- und Explosionen sprechen; somit ist die Entwicklung der Geschehnisse in einer soliden Teheraner Familie der gehobenen Mittelschicht wie eine Art Atompilz, der sich zerstörerisch – unaufhaltsam vergrössert und ausbreitet, bis ein Weiterleben in seinem Dunstkreis überhaupt nicht mehr vorstellbar und möglich ist, weil einem am Ende nur noch alles um die Ohren fliegt. Das Ende ist grausam, auch wenn es sich nur um den Mikrokosmos einer Familie handelt – aber eben der ist exemplarisch.

Der Familienvater-Jurist und Beamter in einem theokratischen Staatssystem – wird nach seiner Beförderung gezwungen, Todesurteile zu genehmigen, ohne den jeweiligen Fall geprüft zu haben – in den meisten Fällen scheint es sich um Regimegegner zu handeln. Die Mutter ist konservativ-regulierend und dem muslimischen Wertekanon verhaftet, die Töchter im bei Teenagern üblichen moderaten Revolutionsmodus mit Wünschen nach Nagellack, blauen Haaren und Märchenprinz und ganz wohlgemut in ihrem pubertären Transitraum agierend.

 
 

 
 

Die schwere Verletzung einer Freundin, der auf einer Demonstration mit der Schrotflinte ins Gesicht geschossen wurde, katapultiert die Mädchen in eine andere Bewusstseinsebene. Die ältere Tochter findet die Dienstpistole des Vaters und nimmt sie heimlich an sich im zunehmenden Bewusstsein einer Gefährdung andersdenkender Frauen und als Misstrauensvotum gegen den Vater, der bei Verlust der Dienstpistole mit schwerer Bestrafung rechnen muss – und als Symbol für Macht und Stärke, mit dem sie sich sicherer fühlen mag – die Interpretationsmöglichkeiten sind sehr vielfältig, wenn man einmal ans Ausloten der Vater-Tochter-Beziehungen geht, die anders verlaufende ödipale Entwicklung im muslimischen Kulturkreis mit dem wesentlich stärkeren Schutz- und Besitzanspruch des Vaters und das Funktionalisieren der Tochter als Selbstobjekt (das bei Heirat verschachert wird) zum Verständnis mit einbezieht. Papas kostbarer Schatz, der sich aber unterwerfen muss, damit er ein Schatz bleibt und nicht ausgestossen wird – welches Selbstbild kann ein Mädchen hier aufbauen? Ein weites düsteres Feld mit vielfältigen Möglichkeiten zu ungesunden Spaltungen und unscharf formulierten Identitäten, die die weitere Unterordnung gewährleisten. Kinder- und Jugendlichentherapeuten können ein Lied davon singen, das sie die Behandlung muslimischer Mädchen gelehrt hat. Für den Vater zieht sich eine Schlinge zu – das Volk beginnt ihn zu hassen, die Dienstherren misstrauen ihm zusehends, er beginnt ein detektivisches Forschen im Familienkreis nach der verschwundenen Waffe, die Töchter leugnen deren Besitz – eine hübsche Allegorie auf die Potenz der iranischen Frau, die sie sich nicht wieder wegnehmen lassen will. Der Vater, im Konflikt zwischen eigenen Befreiungswünschen (die ihm seine Töchter spiegeln) und seiner Identifikation mit dem System, dem er dient – aufgerieben dekompensiert und setzt seine Familie gefangen, um ein „Geständnis“ zu erpressen. Keine Paranoia, aber eine katastrophische Dekompensation und ein Struktureinbruch in einem Zustand der Aussichtslosigkeit und des Verratenwordenseins durch die Menschen, die ihm die liebsten sind.

 
 

 

 
 

Ebenso allegorisch das Ende: Beim Showdown zwischen Vater und Tochter auf den Ruinen eines antiken Höhlendorfes versinkt der Vater im Schutt der Vergangenheit, bevor es zu einem Schusswechsel kommt. Der Film endet mit einem starken Bild, das sich einbrennt beziehungsweise einem Rückgriff auf einen Mythos: Dem Toten wächst die Hand aus dem Grab – in verschiedenen Kulturen interpretiert als Hinweis, dass ihm Unrecht geschehen ist, öfter aber dass er selbst Schuld auf sich geladen hat, beispielsweise ein Dieb war – eine Hand, die Übles getan hat, vergeht nicht, sondern bleibt als überdauerndes Mahnmal einer Schande. Ein Bild das beim Decodieren wieder ins Mittelalter zurückverweist und ein starkes visuelles Symbol für ein Filmende: Ein schuldig Gewordener, dem Unrecht getan wurde – ein Anklang an die Figuren des griechischen Dramas, in dem die Schuld nicht auf persönliche Verfehlungen zurückzuführen, sondern unausweichlich ins Leben eingewoben ist und nur wartet, dass sie zubeissen kann und Ödipus dazu bringt, das zu tun, was er um jeden Preis vermeiden wollte. Unentrinnbar und sich allen moralischen Massstäben entziehend. Kein guter Anfang für die Menschheit …

Was bedeutet der Titel? Der Feigenbaum (das „heilig“ verweist hier bereits auf die religiöse Symbolik und die Metaphorik – Botaniker würden hier eher von der sogenannten „Würgefeige“ sprechen, die gibt’s wirklich) kontaminiert über Vogelkot einen beliebigen Baum, bildet Luftwurzeln, die bis zum Boden wachsen und die Nahrungszufuhr gewährleisten, schliesslich den Wirtsbaum umschlingen und ersticken – zurück bleibt ein stabil wirkender neuer Baum, der aber nicht verwurzelt ist – ein weiteres Bild für die tödliche Umarmung autoritärer patriarchaler Systeme und ihrer Traditionen, die sich einreden, dass sie etwas stützen und bewahren, während sie es in Wirklichkeit unter Zurücklassen massiver Kollateralschäden zerstören. Und sich dabei noch für fest in Gott verwurzelt halten.

 


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