Manafonistas

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2025 19 Juni

Fundstück: Im Zwischenreich der Abhängigkeit

von: Ursula Mayr Filed under: Blog | TB | 3 Comments

 
 

 Bulldog (D, 2022) v. André Szardenings

 

Ich nenne dergleichen einen Chamäleonfilm (ein besseres Wort fällt mir derzeit noch nicht ein): Filme, die in der Diskussion den Eindruck entstehen lassen, jeder Teilnehmer habe einen völlig anderen Film gesehen und völlig Unterschiedliches erlebt. Offenbar verstehen es manche Machwerke besonders gut, auf unterschiedlichen Rezeptionskanälen in unser Gehirn zu kriechen und dort Unterschiedliches zu triggern.

Der Titel gibt zunächst Rätsel auf: Ist mit Bulldog der Hund gemeint oder eine landwirtschaftliche Fortbewegungsmaschine? Beides vermag einen zu überwältigen, wenn man es nicht zu handhaben versteht, da schlummert Gewaltpotential versus Ohnmacht in einem einzigen Objekt. Eine Bulldogge ist ein aufmerksames Tier, ein guter Wachhund – und hiermit wäre die Hauptaufgabe des jungen Bruno umrissen: Ein ständiges Bewachen seiner Teenage-Mom, nur 15 Jahre älter als er und nicht fähig, Verantwortung zu übernehmen und eine Existenz für sich und ihr Kind aufzubauen. In der Ersteinstellung erlebt sie man beide als jugendliches herumalberndes Paar, inzestuös, zu nah für eine Mutter-Sohn-Beziehung; sie schlafen auch eng umschlungen in einem Bett. Beide arbeiten als Reinigungskräfte in einer mallorquinischen Ferienanlage, die allerdings völlig leer ist. Die Mutter droht ihre Arbeit aufgrund von Unzuverlässigkeit zu verlieren, Bruno muss ständig dafür sorgen, dass sie ihre Pflichten erfüllt, zerrt sie morgens aus dem Bett, kontrolliert ihren Alkoholkonsum; als der Hinauswurf droht, bietet er sich dem Chef für sexuelle Dienstleistungen an, damit sie beide weiterarbeiten können.

 
 

 
 

Die Rezensenten loben die lebensvolle, flirrende Atmosphäre eines prächtigen Sommers auf Mallorca – seltsam … eine völlig leere, lediglich zikadenumschrillte Ferienanlage in bedrückendem Schweigen, in der lediglich ein kleines Mädchen in anrührender Verlorenheit unverortet herumirrt – ein Bild für dieses oder jenes, in jedem Fall den inneren Zustand der Hauptfiguren verdeutlichend – wirkt nicht einladend. Gleichzeitig verweist die ständig ins Bild gesetzte Sommerpracht als Kontrapunkt auf den inneren Reifezustand Brunos, für den es noch nicht einmal Frühling werden darf. Schliesslich verliebt sich Brunos Mutter in eine andere Frau – Hannah, die rasch in den Bungalow als Eifersuchtsobjekt, aber auch katalysierende Dritte einzieht und Brunos Platz im Bett der Mutter einnimmt.

Der Film fokussiert sich dabei weniger auf die Aussenwelt, sondern stark auf Nähe, Bewegungen, Blicke und Körper – ihr inzestuöse Verschmelzung, ihr Versteifen und ihre Verspannung, ihr wie zufälliges Hineingeworfensein in Räume, die ihnen kein Zuhause bieten, die sie reinigen müssen aber nicht selbst bewohnen dürfen. Bruno wirkt nur gelockert, wenn er mit der Mutter im Bett schläft, ausserhalb ist er verspannt und ständig aufmerksam – er hat etwas zu bewachen und zu beschützen, das er nicht verlassen darf. Die zunehmende Verantwortungsübernahme für das ebenso unversorgte kleine Mädchen deutet an, dass er den Weg eines parentifizierten Kindes weitergehen will. Ein Ausweg deutet sich an in den Auseinandersetzungen mit Hannah, die ihm Reibungsflächen bietet, bei denen er sich selbst zu spüren lernt und die eine langsame Lösung aus der mütterlichen Symbiose ermöglichen könnte. Das Ende bleibt trotzdem offen – Bruno steht starr und zögert, dem Auto zu folgen, mit dem die Mutter wegfahren will – in ein weiteres Leben ohne Halt und Verantwortung.

Ein verstörender Film für den, der um die Folgen solcher Abhängigkeiten weiss – ausbeutbare und dependente Menschen und ihre oft verfehlten und nicht den eigenen Interessen gewidmeten Leben.

 

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3 Comments

  1. Jochen:

    Diese frühe Parentifizierung lebt dann später fort im Innenleben als ein Fremdkörpergefühl im Erwachsenen-Ich, irgendwie (zumindest teilweise) um seine Kindheit betrogen worden zu sein?

  2. Ursula Mayr:

    Da Schlimme ist, sich in der Mitte seines Lebens oder am Ende sagen zu müssen: Ich habe nie gemacht was ich wirklich wollte.

    Und noch schlimmer: Ich habe nicht einmal gewusst, was ich wollte!

  3. Jörg R.:

    Als Kriegskind kenne ich das, dieses permanente Bezogensein auf die Mutter und ihre Ängste um den Vater, vor dem Hunger, dem Ausgebombtwerden, der Versuch ihr etwas abzunehmen. Das ist natürlich eine andere Situation, aber gesunde Abgrenzung lernt man da auch nicht.

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