Manafonistas

on life, music etc beyond mainstream

You are currently browsing the blog archives for the month Mai 2025.

Archives: Mai 2025

2025 20 Mai

Pavarotti auf Helium

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | 3 Comments

 
 

… und etwas Speed.

 

Es war mal wieder soweit – man musste sich eine halbe Nacht um die Ohren schlagen, um den musikalischen Zeitgeist wenigstens annähernd zu erfassen. Besonders interessant sind hier aber nicht die angebotenen Performances – von Liedern kann man mittlerweile nicht mehr sprechen, eher von Multi-Media-Events nebst akrobatischen Leistungen der Sänger – sondern die Strategien, die ausgetüftelt werden, um an die Spitze zu kommen. Dabei bemühte man sich viele Jahre lange um eine gewisse Uniformität mit ein paar Ausreissern – Stephan Raab und Guildo Horn, die den Narrenbonus bekamen und Conchita Wurst, der der Exotenbonus zum Sieg verhalf und der welpenäugige Salvador Sobral mit dem Romantikbonus. Ansonsten Einheitsbrei aus Techno- und Elektropop, Hiphop und Anmutungen von Rap mit beeindruckenden Laserorgasmen.

Heuer setzte man offenbar eher auf Diversität, die Nummernrevue bestand aus deutlicher unterscheidbaren Songs mit Ausflügen in die Welt der Oper, des Chansons, der Romantic-Ballade, die Welt der Halbseide und humorigen Auftritten, man pries den Espresso und die Sauna, manchmal gab’sogar etwas zum Mitsummen, das hatte man selten. Stimmliche Qualitäten natürlich bei dem ganzen Playback – Zauber schwer zu beurteilen. Deutschland belegte mit einer etwas farblosen Vorstellung einen verdienten 15. Platz, solider Clubsound in kühlem Schwarzweiss-Ambiente zum Abfeiern, das war auch schon mal schlimmer. Diversität fand sich auch hinsichtlich der geschlechtlichen Identität vieler Teilnehmer, die in das bekannte Zweierschema nicht mehr hineinpassten und das fröhlich demonstrierten, da hat man sich dieses Jahr etwas mehr getraut und eine zahlenmässig zu hohe Konfektionsgrösse ist mittlerweile auch kein Hindernis mehr für einen Auftritt, das stimmt milde, wenn man nebenbei an Wencke Myhre und Peggy March und andere gelackte Weiblichkeiten denkt. Der erste Platz, der eigentlich den Bühnentechnikern gebühren müsste – insbesondere für den blitzartigen Umbau in der kurzen Zeit zwischen den Auftritten, da werden wahre Wunder vollbracht – errang dann ein österreichischer Countertenor (ein Tenor der stimmlich den weiblichen Sopran erreicht, früher hätte man ihn des Eunuchentums bezichtigt), der auf einem havarierten Schiff im Fliegenden-Holländer-Ambiente eine irgendwie misslungene Liebe besingt und offensichtlich gegen den Sturm anschreien muss. Pavarotti auf Helium mit ein bisschen Speed, stimmlich durchaus überzeugend, textlich auch nicht schlecht (I’m an ocean of love, but you’re scared of water, hoher Wiedererkennungswert sowohl in der einen als auch der anderen Polarität), insgesamt eine Wagner-Anmutung.

Aber zum Ende war meine Fähigkeit, Überdrehtheit und Theatralik zu inhalieren und zu containen dann doch erschöpft, insbesondere bei der Punkteverleihung, die von den Sängern und ihrer Fanbase mit Geschrei, Gefuchtel und Gewedel mit der Landesfahne kommentiert wurde und die in die Kamera geblasenen Luftküsschen dürften langsam die stabilste Optik ruinieren. Und ich machte mir beim Zubettgehen noch ein paar warme Gedanken über das Verhältnis zwischen zwischen Gefühl und übertriebener Gefühlsdarstellung – meines Erachtens komplementär konfiguriert – und was mit Musik und Gesang so geschehen kann, wenn sie dem Druck eines Rattenrennens und Herausstechens ausgesetzt werden – sie wird nicht besser, sondern lauter und eine chronisch eventhungrige Zuhörerschaft wird das auch künftig goutieren. Ob ich das nächstes Jahr noch packe? Und was wird dann erscheinen? Der Gralsritter mit Schwan? Siegfried und der Drache im Duett? Beim Einschlafen dachte ich noch an die weisen Worte des ESC-Siegers von 2017 – Salvador Sobral bei der Preisverleihung: „Music isn’t fireworks, music is feeling!“ Okay, das war auch die Masche, auf der er ritt, aber trotzdem … sowas bleibt offenbar in den Hirnwindungen hängen. Ob doch was dran ist?

 

2025 18 Mai

„clockwise westward“

| Filed under: Blog | RSS 2.0 | TB | Tags: , | 2 Comments

 
 

a u d i o

 
 

 

Like a complete unknown (USA 2024) von  James Mangold

Das Zitat ist übrigens von Ludwig II, man könnte es aber auch über das Bob Dylan-Biopic schreiben; der Titel wurde von daher gut gewählt. Wer sich erhoffte, Näheres über das Folk-Rock-Idol zu erfahren, wurde getäuscht, der outcome des Filmes war diesbezüglich gleich null. Dylan sehen wir in seinem immergleichen Habitus, Wuschelkopf, permanent gegen den Strich gebürstet wie der ganze Kerl eben auch, Sonnenbrille und sich permanent eine Zigarette oder Tüte ansteckend, immer ein bisschen lakonisch, undurchschaubar, unberührbar, manchmal kaltherzig – insbesondere zu den Frauen, denen etwas an ihm lag, dann wieder mit einem grossen Herz für den dahinsiechenden Woody Guthrie, den die Ärzte auch noch von dem abschneiden, was ihn am Leben erhält – die Musik seiner Freunde. Dazwischen Songs für die Ewigkeit mit den Stimmen der Schauspieler, die ihre Sache sehr gut machen. Joan Baez wird insgesamt zu wenig Raum eingeräumt, das Drehbuch reduziert sie zu stark auf den Part der wartenden Frau, anstatt sie als eigenständige Künstlerpersönlichkeit zu präsentieren. More rust than diamonds. 

 

 

Die Auftritte und Konzerte wechseln in rascher Folge und man beginnt sich zu fragen, warum man nicht einfach eine Doku mit dem sicher reichlich vorhandenen Material gedreht hat – wozu dieser Spielfilm mit nachgestellten Situationen? Trotzdem ist der Streifen ein Genuss für die Fanbase und das Bedürfnis, den Maestro näher kennenzulernen, bei mir ohnehin gering ausgeprägt – manchen Dingen und Menschen sollte man ihr Geheimnis belassen. Wer den Dingen auf den Grund gehen will, hat sie schon verloren – sprach der weise Gandalf. Und Bob würde dazu anfügen: Hört meine Lieder, nirgendwo könnt ihr mich besser kennenlernen und das Rätselvolle, in der Schwebe bleibende, Vieldeutige und nicht immer ganz Verstehbare ist ein Teil des Lebens und ein Teil von mir. It ain’t me you’re lookin‘ for … ein Titel der viele Beziehungskatastrophen in der Erinnerung wieder aufploppen lässt – welcher Lyriker schafft das schon? Und damit lassen wir es gut sein.

P.S. Trotzdem bekomme ich jetzt Lust, mir I’m not there mit Cate Blanchet als Dylan anzugucken, da wimmelts sicher von Interpretationsversuchen. Hoffentlich geht der nicht so ins Auge wie Ein Mann wie Eva, als Eva Mattes den Fassbinder gab. Was übrigens nicht an der Eva lag, sondern am Drehbuch.

 

 
 

Die Romane von Hubert Selby gehörten schon immer zu meinen Lieblingen mit ihren Schilderungen aus der Welt der Abgehängten, Underdogs und – cats und Junkies. Gnadenlose Schilderungen, die einem nichts ersparen, aber immer getragen von einer tiefen Empathie und Humanität; Selby verrät seine Figuren niemals – soviel ich weiss ist der Mann sehr religiös. Mit den Verfilmungen hat schon so manch einer nicht den richtigen Nerv getroffen, z B. Uli Edel mit Last exit to Brooklyn, dessen Darsteller, ansehnlich und adrett, problemlos auf einem Laufsteg hätten promenieren können. In die düstere Seite von Brooklyn passten sie jedenfalls nicht und auch ihre Abgründigkeit und Verlorenheit vermochte der Film ebenfalls nicht einzufangen. Jedenfalls schwante mir Ähnliches, als sich Darren Aronofsky an  Requiem für einen Traum heranmachte. Aber er enttäuschte nicht, wenngleich er im Film andere Akzente setzen musste, als der Roman es tat, der mehr auf die Verleugnungsarbeit der Protagonisten abhob, ihre Mechanismen – trotz erweiterter Pupille – den Tatsachen nicht ins Auge zu sehen und ihre Abwärtsspirale auch nach dem finalen Aufprall noch nicht zu erkennen. Die jugendliche Grossmäuligkeit der Romanfiguren fehlt hier fast völlig und damit auch der Zugang zu ihren Hoffnungen und Kinderträumen. Stattdessen setzt der Regisseur auf visuelle Effekte um das veränderte Wahrnehmungserleben unter den diversen Substanzen darzustellen, beispielsweise die andere Zeitempfindung unter Amphetaminen mittels Zeitraffer. Hier wäre zu kritisieren dass eine Art Slapstick-Effekt entsteht (und Slapstick hat immer eine humorige Anmutung) der einem die Figuren, die dann wie aufgescheuchte Hühner herumrennen, eher entfremdet als ihren Zustand einfühlbar macht. Das passt sozusagen wie die Faust aufs immer wieder eingeblendete Auge, aber immerhin unterläuft es auch gängige Rezeptionsmuster. Hier zeigt der Film deutliche Anleihen an Trainspotting von Danny Boyle, der die halluzinatorischen Erfahrungen der Protagonisten skurril auf die Spitze trieb und diese Ebene durchhielt, während die Darstellung bei Aronofsky hier etwas abgekupfert, eingeschoben und hilflos wirkt. Die Halluzinationen von Sarah Goldfarb sind auch insgesamt zu übertrieben und plakativ, da hätte man sich stattdessen etwas mehr geräuschärmeren Suspense, keinen wandernden Kühlschrank und eine weniger knallige und groteske Bildsprache gewünscht; das sind Comic-Elemente und hier fehl am Platz. Das sind aber auch die einzigen Schwachpunkte. Die Schauspieler tun ihr bestes, insbesondere Ellen Burstyn, die den Film über weite Strecken allein trägt und inszenatorische Schwächen auszugleichen versteht. Warum die Hinweise auf die jüdische Abstammung der Familie Goldfarb und das Hängen von Sarah an Festen und Ritualen ihrer Kultur völlig ausgespart wurde, werden wir nicht erfahren, ebenso den Werdegang von Marion, einer begabten aber depressiven jungen Künstlerin und ihren Weg zu den Drogen. Schade – im Film bleibt sie eine unverortete Figur ohne Tiefe. Harry als vergöttertes „Bubele“ einer „jiddischen Momme“ wird eher verstehbar wenn auch etwas grob gerastert, aber glaubhaft in seiner Sohnesambivalenz. Insgesamt sind die Figuren eher zu gutaussehend, steril und wohlfrisiert für eine Population der unteren Mittelschicht, insbesondere die vor dem Haus herumgammelnden Damen, die im Roman die Funktion des Chors im altgriechischen Drama innehaben, da ist noch zuviel Hollywood-Glamour im Spiel, a touch of Golden Girls. Okay, Brooklyn ist noch nicht die Bronx, aber ganz so gelackt muss es auch nicht sein. Der Soundtrack begleitet einfühlsam die verschiedenen Stadien des Zerfalls von Menschen und ihren Hoffnungen, an die sie sich bis zum Schluss klammern. Der weitere Verlauf des Films jagt in immer schnelleren Überblendungen seinem Ende entgegen und das Finale furioso wirkt wie ein Schlag in den Magen oder wo sonst der Zuschauer seinen Resonanzboden eingebaut hat und wer die Qualen von Sucht noch nicht verstanden hat, bekommt jetzt eine Ahnung davon, ebenso von der gnadenlosen Psychiatrie. Der Konflikt zwischen den Psychiatern wie mit der amphetaminsüchtigen und verwahrlosten Sarah umzugehen sei wurde leider auch ausgespart.

Positiv: Es ist nicht nur von den Junkies auf der Strasse die Rede, sondern auch von legalen Drogen, die von Ärzten verschrieben werden – die Mothers little helpers der Stones, in ihrer Wirkung bei unsachgemässem Gebrauch kaum weniger destruktiv. Das hebt das Thema „Sucht“ sozusagen aus dem Strassengraben und verfolgt dessen Spuren auch in wohlgeordneteren Milieus mit von Frauenklagen gelangweilten Ärzten.

Bleibt zuletzt die Frage: Ist der Titel gut gewählt? Ein Requiem ist ein Abgesang, eine Form Trauer und Abschied zu gestalten und auszudrücken. Das scheint mir hier zu euphemistisch für ein Filmende mit einem Schrecken, der nicht mehr aufgelöst wird und bei dem der Zuschauer unwillkürlich extrapoliert wie das wirkliche Ende aussehen wird. Das ist grosses Kino.

 
 

                               

 


Manafonistas | Impressum | Kontakt | Datenschutz