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Archives: Mai 2025

2025 30 Mai

Nowhere Man

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Der Mann war nicht besonders interessant – das Kunstprodukt, das aus ihm geformt wurde schon – wie ein Kristallisationskeim zog er alles was im grossen Kochtopf genannt Deutschland herumbrodelte und – waberte an sich, um es für alle sichtbar zu materialisieren, man erlebte in diesem fleischgewordenen Mythos die eigene Unverortetheit, psychische Entwurzelung und Identitätsdiffusion fokussiert wie in einem Brennglas. Die Deutschen hatten eine Heimat, die sie libidinös besetzt hatten, idealisierten und zunehmend grössenwahnsinnig glorifizierten und fanden sich nach Kriegsende unversehens in einer Situation wieder, in der man sie als ein Volk von Mördern und Verbrechern ächtete, Restriktionen plante und nicht nur die nationale Identität durch Schuld kontaminiert, sondern auch die physische Heimat zerstört war. Im Heimatfilm durfte sie grandios wiederauferstehen, streng liminiert auf anderthalb Stunden, in denen man träumen und den alten Wertekanon abfeiern durfte. In benachbarte Länder konnte man sich nicht retten, das war „Feindesland“ (das klang noch sehr lange nach), bewohnt von Gegnern, wenn nicht gar andersrassigen Untermenschen, die man nicht mochte und die einen nicht mochten. Es bildete sich etwas, das man in der Psychotherapie eine paranoide Festungsfamilie nennen würde. Die Besatzungsmächte – insbesondere die Amerikaner – brachten eine neue Kultur, die von der Jugend begeistert aufgegriffen wurde, damit begann das Fremde Wurzeln innerhalb der eigenen Grenzen zu schlagen und forderte eine Toleranz ein, die die ältere Kriegsgeneration nicht aufbringen konnte und wollte, die gerne zum business as usual zurückgekehrt wäre, der alte Wertekanon stand ohnehin noch auf recht stabilen Gehwerkzeugen. Ein Zuhause war verloren, ein neues bildete sich heraus, das man aber nicht annehmen wollte. Ein brisantes Gemisch der Generationen, dem die baldige Explosion schon eingeschrieben war.

Auch Freddy Quinn lebte im Nirgendwo: Zuhause litt er unter Fernweh und sehnte sich nach fremden Ländern, dort hatte er Heimweh und zerrte an der langen Leine seiner Mutter, deren Briefe ihn bis in den entferntesten Hafen noch verfolgten und die ihn wieder am Schürzenband haben wollte. Ein lebenslange Existenz im Zwischenreich der Begehrlichkeiten und Erfüllungen, die immer dort lockten, wo man gerade NICHT war, dieses menschliche Artefakt bekam kein Bein auf und kein Würzelchen in den Boden und haufenweise Mamas im fliegenden Wechsel mit exotischen Schönheiten winkten ihm am Kai hinterher, wenn er wieder mal vom Liebhaber zum sich entfernenden Sehnsuchtsobjekt mutierte und aufs Meer – die ewige Geliebte des Mannes, die ihn schliesslich verschlingen wird – hinausschipperte. Demgemäss musste der Mann zum romantischen Mythos umetikettiert werden, der biedere „Junge von Sankt Pauli“ mit dem Rollkragenpulli und der Gitarre war von da an das Label, dem auch das Privatleben des Stars untergeordnet wurde. Zudem war er sympathisch asexuell und geriet deshalb bald in den Verdacht der Homosexualität, was aber keineswegs thematisiert werden durfte. In Liebesszenen kam es auf der Leinwand nie weiter als zu geschwisterlichen Küsschen, das war der typische testosteronfreie Nachkriegsmann auf der Leinwand wie Heinz Rühmann, Heinz Erhardt oder Peter Alexander, guter Junge und Kumpel, als Liebhaber schwer vorstellbar bis peinlich. Seht, wie brav wir sind – unmöglich, dass wir so schreckliche Taten begangen haben sollen. Wir pimpern ja noch nicht mal.

Später outete Freddy sich in dem Song „Wir! Ihr!“ (in dem mit den Gammlern abgerechnet und die Kriegsgeneration gebauchpinselt wurde), wo er wirklich stand und eroberte erneut das Herz der Letzteren und demonstrierte, was hinter der Kruste an Harmlosigkeit schlummert, wenn man nur ein bisschen daran kratzt: Eine aggressive Spaltungstendenz, aus der selten etwas Gutes erwachsen kann. In Wirklichkeit stammte der physische Manfred Nidl-Petz aus Wien oder einem kleinen Ort in der Nähe, sein Vater war ein Phantom, seine jahrelange Vatersuche hat nie stattgefunden (auch hier der Topos „Nicht-Anwesenheit“), in Wirklichkeit ist der Erzeuger nicht bekannt und hat sich offenbar ebenso nebelhaft verflüchtigt wie der Sohn das lebenslang in seinen Filmen praktizierte, ein ständiger Vollzug des Nicht-da und des … aber auch nicht dort. Ein Tribut an die Romantik des Diffusen und Schwebenden und ein hoher Wiedererkennungswert in einer in vieler Hinsicht für viele vaterlosen Zeit, in der manches Kind sich alternativ mit toten Kriegshelden-Phantomen oder lebenden Kotzbrocken herumschlagen musste. Seine Lebensgefährtin wurde zur Managerin umfunktioniert, um das Bild des lonely riders nicht zu stören, sie hat es mit bewundernswerter Geduld durchgehalten. Eine Gedenkminute für sie! Die Feministinnen würden sie dafür kreuzigen. Erst mit 91, als Freddy nach deren Tod zum erstenmal heiratete – sehr seltsam, das ist doch, wie wenn man ein Loch in den Tank bohrt, wenn eh schon die Tankanzeige blinkt – liess er den Mythos platzen und gibt nun seine Bio heraus, in der vermutlich noch einige andere Blasen sich auflösen werden. Auch wenn viele ihn kitschig und degoutant finden – ich werde sie lesen. Sein grosses Verdienst war es, uns uns die gefürchtete Fremde und deren Bewohner wieder reizvoll und exotisch scheinen zu lassen und damit die Welt wieder begehbar zu machen – ebenso wie Vico Torriani, Caterina Valente und Lolita mit der Omadauerwelle, beim Kitsch gibt es immer noch eine zweite Ebene und das ist sein manipulativer Charakter und Einfluss auf das Unbewusste, insofern ist er immer auch von politischer Relevanz. In den Romanheftchen meiner Oma habe ich sehr viel gelernt über die Kriegstraumaverarbeitung dieser Zeit, vor allem die Rolle von Schuld, Schweigen und Verschweigen in Beziehungen, da wurde sozusagen geschwiegen, dass es nur so krachte. Natürlich arbeiteten die Schlagertexter und Drehbuchschreiber kräftig mit, aber ohne ein gutaussehendes Trägersubstrat können die nicht viel ausrichten, die wussten schon, was sie an Freddy und Caterina hatten. Die Deutschen begannen wieder, über die eigenen Grenzen hinaus zu träumen, an den Wohnzimmerwänden hingen wieder immer mehr verführerische Z … (darf man nicht mehr sagen – ihr wisst schon: Die Mädels mit den Glutaugen, den weissen Rüschenblüschen und den goldenen Ohrringen, die man jetzt mit Sinti oder Roma ansprechen muss, obwohl man gar nicht weiss, ob sie das eine oder das andere sind, ich hab auch welche kennengelernt, die es selbst nicht wussten und denen das auch völlig wurscht war, weil sie gegen das Z-Wort überhaupt nix hatten). Und in den Schlagertexten begannen die Worte „Traum“ und „träumen“ immer häufiger über die Seiten zu spitzentänzeln – gemeint war der Tagtraum, der ja auch immer ein Entwurf in die Zukunft ist und meistens der konkreten Handlung vorausgeht. Eines Tages – den wir leider nicht kennen, ansonsten sollte man ihn zum Feiertag erklären – fand eben der Quantensprung statt und die Zentrifugalkräfte überwanden die Zentripetalkraft: Der erste Deutsche nahm die challenge an, kaufte sich eine Isetta oder einen Käfer und bretterte damit über den Brenner nach Italien, wo das vielbesungene blaue Meer schon auf die tedesci wartete. Die Südsee kam dann später. Dann die Prärie. Dann war erstmal gut – mit der Auslandsphobie, zumindest was das Urlaubmachen betrifft. Und es folgte ein Tsunami an „Bikini-Filmen“ am blauen Meer oder wenigstens am Gardasee mit zumindest einem Hauch von Sex und das Interesse an beschneiten Bergspitzen, Gemsen, Wilderern und braven Dirndln liess drastisch nach. Nur die Mütter hofften, dass alle bald wiederkämen und nie wieder hinausfahren würden. But who cares …

 

2025 27 Mai

Mit Miller an der Saite

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    Immer noch spiele ich gerne Gitarre, tue das mit längeren Unterbrechungen seit meinem zwölften Lebensjahr. Man orientierte sich ja bei diesem Instrument mehr vielleicht als bei anderen an Vorbildern. Hängt das mit dem speziellen Performance-Charakter zusammen, der selbst gestandene Keyboard-Koryphäen wie Rick Wakeman, Herbie Hancock, George Duke und Donald Fagen dazu animierte, sich einen Tasten-Phallus über die Schulter zu hängen? Wie dem auch sei, der Impuls, diesen Text zu schreiben entstand aus dem Nachsinnen beim Küchenabwasch, welches heute meine Vorbilder, Heroen, Gitarrengötter seien. Da gibt es niemanden und selbst Pat Metheny ist ein wenig in den Hintergrund getreten über die Jahre! Und doch: Peter Schellenbaum, ein Psychoanalytiker jungscher Prägung hämmerte mir einst das Wort „Leitbildspiegelung“ in die Synapsen. Hinsichtlich akustischer Phänomene bevorzuge ich allerdings den Begriff „Ahmung“. Was ist nachahmenswert, annäherungswürdig, attraktiv? In jüngster Zeit sind dies neben dem kalifornischen Bluesgitarristen Robben Ford vor allem auch – man höre und staune – kein geringerer als Dominic Miller. Ihn als Sting-Sideman zu betrachten wäre eine Beleidigung. Er hat mittlerweile den Sound des stacheligen Sängers mit- und weiterentwickelt. Gut zu hören ist das auf dem aktuellen Album Sting 3.0! Policesongs erhalten durch seine Mitwirkung und Farbgebung noch mehr Tiefenschärfe, Kontrast und Dynamik. Die Variationsbreite zwischen Klassik, Folk und Rock ist enorm. Jazz scheint nicht sein Ding zu sein – völlig okay. Wie ein Surfer auf der Welle passt sein Spiel sich phänomenal an den Gruppenkontext an, umschmiegt ihn sanft und prägt ihn doch auf bestimmende, männliche, richtungsgebende Weise. He’s got the guts – Keeper Kahn wäre begeistert. Wenn ich also als frühmorgendlichen warm-up – headphone-bestückt, der Nachbarn wegen – den Amp anschalte und eine innige Fender-Runde drehe, dann ist der gebürtige Argentinier irgendwie auch oft mit dabei, als imaginativer Resonanzraum. Und dies ist keine Angeberei: auch eine tiefe Liebe zu den Tönen, die man selbst erzeugt, ist mit im Spiel.

     

2025 20 Mai

Pavarotti auf Helium

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… und etwas Speed.

 

Es war mal wieder soweit – man musste sich eine halbe Nacht um die Ohren schlagen, um den musikalischen Zeitgeist wenigstens annähernd zu erfassen. Besonders interessant sind hier aber nicht die angebotenen Performances – von Liedern kann man mittlerweile nicht mehr sprechen, eher von Multi-Media-Events nebst akrobatischen Leistungen der Sänger – sondern die Strategien, die ausgetüftelt werden, um an die Spitze zu kommen. Dabei bemühte man sich viele Jahre lange um eine gewisse Uniformität mit ein paar Ausreissern – Stephan Raab und Guildo Horn, die den Narrenbonus bekamen und Conchita Wurst, der der Exotenbonus zum Sieg verhalf und der welpenäugige Salvador Sobral mit dem Romantikbonus. Ansonsten Einheitsbrei aus Techno- und Elektropop, Hiphop und Anmutungen von Rap mit beeindruckenden Laserorgasmen.

Heuer setzte man offenbar eher auf Diversität, die Nummernrevue bestand aus deutlicher unterscheidbaren Songs mit Ausflügen in die Welt der Oper, des Chansons, der Romantic-Ballade, die Welt der Halbseide und humorigen Auftritten, man pries den Espresso und die Sauna, manchmal gab’sogar etwas zum Mitsummen, das hatte man selten. Stimmliche Qualitäten natürlich bei dem ganzen Playback – Zauber schwer zu beurteilen. Deutschland belegte mit einer etwas farblosen Vorstellung einen verdienten 15. Platz, solider Clubsound in kühlem Schwarzweiss-Ambiente zum Abfeiern, das war auch schon mal schlimmer. Diversität fand sich auch hinsichtlich der geschlechtlichen Identität vieler Teilnehmer, die in das bekannte Zweierschema nicht mehr hineinpassten und das fröhlich demonstrierten, da hat man sich dieses Jahr etwas mehr getraut und eine zahlenmässig zu hohe Konfektionsgrösse ist mittlerweile auch kein Hindernis mehr für einen Auftritt, das stimmt milde, wenn man nebenbei an Wencke Myhre und Peggy March und andere gelackte Weiblichkeiten denkt. Der erste Platz, der eigentlich den Bühnentechnikern gebühren müsste – insbesondere für den blitzartigen Umbau in der kurzen Zeit zwischen den Auftritten, da werden wahre Wunder vollbracht – errang dann ein österreichischer Countertenor (ein Tenor der stimmlich den weiblichen Sopran erreicht, früher hätte man ihn des Eunuchentums bezichtigt), der auf einem havarierten Schiff im Fliegenden-Holländer-Ambiente eine irgendwie misslungene Liebe besingt und offensichtlich gegen den Sturm anschreien muss. Pavarotti auf Helium mit ein bisschen Speed, stimmlich durchaus überzeugend, textlich auch nicht schlecht (I’m an ocean of love, but you’re scared of water, hoher Wiedererkennungswert sowohl in der einen als auch der anderen Polarität), insgesamt eine Wagner-Anmutung.

Aber zum Ende war meine Fähigkeit, Überdrehtheit und Theatralik zu inhalieren und zu containen dann doch erschöpft, insbesondere bei der Punkteverleihung, die von den Sängern und ihrer Fanbase mit Geschrei, Gefuchtel und Gewedel mit der Landesfahne kommentiert wurde und die in die Kamera geblasenen Luftküsschen dürften langsam die stabilste Optik ruinieren. Und ich machte mir beim Zubettgehen noch ein paar warme Gedanken über das Verhältnis zwischen zwischen Gefühl und übertriebener Gefühlsdarstellung – meines Erachtens komplementär konfiguriert – und was mit Musik und Gesang so geschehen kann, wenn sie dem Druck eines Rattenrennens und Herausstechens ausgesetzt werden – sie wird nicht besser, sondern lauter und eine chronisch eventhungrige Zuhörerschaft wird das auch künftig goutieren. Ob ich das nächstes Jahr noch packe? Und was wird dann erscheinen? Der Gralsritter mit Schwan? Siegfried und der Drache im Duett? Beim Einschlafen dachte ich noch an die weisen Worte des ESC-Siegers von 2017 – Salvador Sobral bei der Preisverleihung: „Music isn’t fireworks, music is feeling!“ Okay, das war auch die Masche, auf der er ritt, aber trotzdem … sowas bleibt offenbar in den Hirnwindungen hängen. Ob doch was dran ist?

 

2025 18 Mai

„clockwise westward“

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a u d i o

 
 

 

Like a complete unknown (USA 2024) von  James Mangold

Das Zitat ist übrigens von Ludwig II, man könnte es aber auch über das Bob Dylan-Biopic schreiben; der Titel wurde von daher gut gewählt. Wer sich erhoffte, Näheres über das Folk-Rock-Idol zu erfahren, wurde getäuscht, der outcome des Filmes war diesbezüglich gleich null. Dylan sehen wir in seinem immergleichen Habitus, Wuschelkopf, permanent gegen den Strich gebürstet wie der ganze Kerl eben auch, Sonnenbrille und sich permanent eine Zigarette oder Tüte ansteckend, immer ein bisschen lakonisch, undurchschaubar, unberührbar, manchmal kaltherzig – insbesondere zu den Frauen, denen etwas an ihm lag, dann wieder mit einem grossen Herz für den dahinsiechenden Woody Guthrie, den die Ärzte auch noch von dem abschneiden, was ihn am Leben erhält – die Musik seiner Freunde. Dazwischen Songs für die Ewigkeit mit den Stimmen der Schauspieler, die ihre Sache sehr gut machen. Joan Baez wird insgesamt zu wenig Raum eingeräumt, das Drehbuch reduziert sie zu stark auf den Part der wartenden Frau, anstatt sie als eigenständige Künstlerpersönlichkeit zu präsentieren. More rust than diamonds. 

 

 

Die Auftritte und Konzerte wechseln in rascher Folge und man beginnt sich zu fragen, warum man nicht einfach eine Doku mit dem sicher reichlich vorhandenen Material gedreht hat – wozu dieser Spielfilm mit nachgestellten Situationen? Trotzdem ist der Streifen ein Genuss für die Fanbase und das Bedürfnis, den Maestro näher kennenzulernen, bei mir ohnehin gering ausgeprägt – manchen Dingen und Menschen sollte man ihr Geheimnis belassen. Wer den Dingen auf den Grund gehen will, hat sie schon verloren – sprach der weise Gandalf. Und Bob würde dazu anfügen: Hört meine Lieder, nirgendwo könnt ihr mich besser kennenlernen und das Rätselvolle, in der Schwebe bleibende, Vieldeutige und nicht immer ganz Verstehbare ist ein Teil des Lebens und ein Teil von mir. It ain’t me you’re lookin‘ for … ein Titel der viele Beziehungskatastrophen in der Erinnerung wieder aufploppen lässt – welcher Lyriker schafft das schon? Und damit lassen wir es gut sein.

P.S. Trotzdem bekomme ich jetzt Lust, mir I’m not there mit Cate Blanchet als Dylan anzugucken, da wimmelts sicher von Interpretationsversuchen. Hoffentlich geht der nicht so ins Auge wie Ein Mann wie Eva, als Eva Mattes den Fassbinder gab. Was übrigens nicht an der Eva lag, sondern am Drehbuch.

 

 
 

Die Romane von Hubert Selby gehörten schon immer zu meinen Lieblingen mit ihren Schilderungen aus der Welt der Abgehängten, Underdogs und – cats und Junkies. Gnadenlose Schilderungen, die einem nichts ersparen, aber immer getragen von einer tiefen Empathie und Humanität; Selby verrät seine Figuren niemals – soviel ich weiss ist der Mann sehr religiös. Mit den Verfilmungen hat schon so manch einer nicht den richtigen Nerv getroffen, z B. Uli Edel mit Last exit to Brooklyn, dessen Darsteller, ansehnlich und adrett, problemlos auf einem Laufsteg hätten promenieren können. In die düstere Seite von Brooklyn passten sie jedenfalls nicht und auch ihre Abgründigkeit und Verlorenheit vermochte der Film ebenfalls nicht einzufangen. Jedenfalls schwante mir Ähnliches, als sich Darren Aronofsky an  Requiem für einen Traum heranmachte. Aber er enttäuschte nicht, wenngleich er im Film andere Akzente setzen musste, als der Roman es tat, der mehr auf die Verleugnungsarbeit der Protagonisten abhob, ihre Mechanismen – trotz erweiterter Pupille – den Tatsachen nicht ins Auge zu sehen und ihre Abwärtsspirale auch nach dem finalen Aufprall noch nicht zu erkennen. Die jugendliche Grossmäuligkeit der Romanfiguren fehlt hier fast völlig und damit auch der Zugang zu ihren Hoffnungen und Kinderträumen. Stattdessen setzt der Regisseur auf visuelle Effekte um das veränderte Wahrnehmungserleben unter den diversen Substanzen darzustellen, beispielsweise die andere Zeitempfindung unter Amphetaminen mittels Zeitraffer. Hier wäre zu kritisieren dass eine Art Slapstick-Effekt entsteht (und Slapstick hat immer eine humorige Anmutung) der einem die Figuren, die dann wie aufgescheuchte Hühner herumrennen, eher entfremdet als ihren Zustand einfühlbar macht. Das passt sozusagen wie die Faust aufs immer wieder eingeblendete Auge, aber immerhin unterläuft es auch gängige Rezeptionsmuster. Hier zeigt der Film deutliche Anleihen an Trainspotting von Danny Boyle, der die halluzinatorischen Erfahrungen der Protagonisten skurril auf die Spitze trieb und diese Ebene durchhielt, während die Darstellung bei Aronofsky hier etwas abgekupfert, eingeschoben und hilflos wirkt. Die Halluzinationen von Sarah Goldfarb sind auch insgesamt zu übertrieben und plakativ, da hätte man sich stattdessen etwas mehr geräuschärmeren Suspense, keinen wandernden Kühlschrank und eine weniger knallige und groteske Bildsprache gewünscht; das sind Comic-Elemente und hier fehl am Platz. Das sind aber auch die einzigen Schwachpunkte. Die Schauspieler tun ihr bestes, insbesondere Ellen Burstyn, die den Film über weite Strecken allein trägt und inszenatorische Schwächen auszugleichen versteht. Warum die Hinweise auf die jüdische Abstammung der Familie Goldfarb und das Hängen von Sarah an Festen und Ritualen ihrer Kultur völlig ausgespart wurde, werden wir nicht erfahren, ebenso den Werdegang von Marion, einer begabten aber depressiven jungen Künstlerin und ihren Weg zu den Drogen. Schade – im Film bleibt sie eine unverortete Figur ohne Tiefe. Harry als vergöttertes „Bubele“ einer „jiddischen Momme“ wird eher verstehbar wenn auch etwas grob gerastert, aber glaubhaft in seiner Sohnesambivalenz. Insgesamt sind die Figuren eher zu gutaussehend, steril und wohlfrisiert für eine Population der unteren Mittelschicht, insbesondere die vor dem Haus herumgammelnden Damen, die im Roman die Funktion des Chors im altgriechischen Drama innehaben, da ist noch zuviel Hollywood-Glamour im Spiel, a touch of Golden Girls. Okay, Brooklyn ist noch nicht die Bronx, aber ganz so gelackt muss es auch nicht sein. Der Soundtrack begleitet einfühlsam die verschiedenen Stadien des Zerfalls von Menschen und ihren Hoffnungen, an die sie sich bis zum Schluss klammern. Der weitere Verlauf des Films jagt in immer schnelleren Überblendungen seinem Ende entgegen und das Finale furioso wirkt wie ein Schlag in den Magen oder wo sonst der Zuschauer seinen Resonanzboden eingebaut hat und wer die Qualen von Sucht noch nicht verstanden hat, bekommt jetzt eine Ahnung davon, ebenso von der gnadenlosen Psychiatrie. Der Konflikt zwischen den Psychiatern wie mit der amphetaminsüchtigen und verwahrlosten Sarah umzugehen sei wurde leider auch ausgespart.

Positiv: Es ist nicht nur von den Junkies auf der Strasse die Rede, sondern auch von legalen Drogen, die von Ärzten verschrieben werden – die Mothers little helpers der Stones, in ihrer Wirkung bei unsachgemässem Gebrauch kaum weniger destruktiv. Das hebt das Thema „Sucht“ sozusagen aus dem Strassengraben und verfolgt dessen Spuren auch in wohlgeordneteren Milieus mit von Frauenklagen gelangweilten Ärzten.

Bleibt zuletzt die Frage: Ist der Titel gut gewählt? Ein Requiem ist ein Abgesang, eine Form Trauer und Abschied zu gestalten und auszudrücken. Das scheint mir hier zu euphemistisch für ein Filmende mit einem Schrecken, der nicht mehr aufgelöst wird und bei dem der Zuschauer unwillkürlich extrapoliert wie das wirkliche Ende aussehen wird. Das ist grosses Kino.

 
 

                               

 


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