Manafonistas

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Archives: März 2025

 
 

Was vom Tage übrigblieb (GB, 1993), James Ivory

 

… eine für uns mittlerweile versunkene Welt. Natürlich gibt es heute noch Hauspersonal und Bedienstete, aber gottlob ist die Zeit vorbei, in denen man diese als eine andere Sorte Mensch betrachtete und dazu eine Ideologie errichtete, die alle Arten von Unterdrückung und Gewalt rechtfertigte, wie die Geschichte der Versklavung der Schwarzen illustriert. Dass die Frauen ihren Körper den Herrschenden zur Verfügung stellen mussten, war im sogenannten Herrenrecht und im besonders hundsgemeinen Jus primae noctis auch juristisch fixiert, zumindest in Europa. In den Staaten machte man sich diese Mühe gar nicht erst.

Wenn man sich mit der Literatur, insbesondere Jugendliteratur, der deutschen Kaiserzeit beschäftigt, braucht man diesbezüglich einen starken Magen, da riecht man förmlich den Schweiss, der bei der pädagogischen Bemühung um die Errichtung der Klassenschranken und ihre Zementierung vergossen wurde, während in der Mädchenliteratur noch zusätzlich an der Verfestigung der Geschlechterschranken gewerkelt und die Mädchen auf ihre Hausfrauenrolle vorbereitet wurden; zu letzterem Zweck wurde auch noch das reaktionäre bildungsbürgerliche Ideal der einmaligen romantischen Lebensliebe permanent zelebriert – man wusste schon damals, wie man die Mädels ködert und bei der Stange hält. Vielleicht hat hier noch eine der mitlesenden Damen den Trotzkopf oder Nesthäkchen oder Majors Einzige gelesen, oder überhaupt Marlitt und Courths Mahler? Schon allein die Titelbilder signalisieren, dass hier reihenweise aus liebenswerten wilden Hummeln dröge Hausmuttis geformt werden sollten – eine brutale literarische Einnordungsmaschinerie – wie ich es zu nennen pflege.

 
 

            

 
 

Der Welt der Feudalherrlichkeit, der Gutsherren und Adeligen stand die Welt der Bediensteten und Bildungsfernen (wie man heute sagen würde) gegenüber und deren moralische Integrität wurde schon von vorneherein in Zweifel gestellt – erkennbar an dem häufig auftretenden Stolperstein der Formulierung „eine arme Frau, aber moralisch hochstehend“. Ein Einzelfall, der eine lobende Erwähnung verdient, die anderen stehen von Anfang an offenbar im Ruch des Gangstertums. Heute heissts Prekariat, was auch nicht besser ist. Die Bediensteten und Verarmten waren also offenbar eine Population von Aliens, die man wenn überhaupt höchstens mit Abstand beäugt und die nur zum Zwecke des Dienens die Liegenschaften der Herrschenden betreten dürfen, mit tiefer Verbeugung, Mütze in der Hand und einer Entschuldigung für die Störung auf den Lippen. Und beim Verlassen des Raumes rückwärts gehen müssen, damit der Herrscher bloss den Hintern nicht sieht. Wenn einer davon – ein besonders begabter Junge beispielsweise – dann in die situierte Familie aufgenommen und grossgezogen wird, ist das kein Erweichen der Klassenschranken, sondern deren weiteres Zementieren durch den Beweis der Hochherzigkeit der herrschenden Klasse und ein Einfordern von lebenslanger Dankbarkeit der Underdogs, ebenso wenn der Graf das Kindermädel heiratet. Trotzdem bleibt es degoutant, irgendwie, wenn man zwischen den Zeilen zu lesen versteht. Wenn die Gräfin sich in ihren Gutsverwalter verguckt, dann muss im Plot dafür gesorgt werden, dass der sich als verarmter Gutsbesitzer oder besser noch verkappter Graf mit entsprechend Anstand und Bildung entpuppt – bei Gräfin Mariza wird mir heut noch schlecht – und es werden die unwahrscheinlichsten Volten und Kapriolen konstruiert, die dafür sorgen, dass letztlich doch die Stände unter sich bleiben. Gottlob beruhigte uns der Gutsverwalter Rudolf Schock dann gleich in seiner Auftrittsarie: Auch ich war einst ein feeeiiiiner Czardaskavalier, hab kommandiert Zigeuner gradeso wie ihr … (woke ist das ja auch nicht!) und als einfacher Malocher hätte er die Gräfin natürlich niemals gekriegt. Die ebenso hundsgemeine Gehirnwäsche der Nachkriegszeit und ihrer Trivialkultur, immer bemüht in althergebrachten Werten Halt nach dem grossen Zusammenbruch zu finden. Aber ich komme ins Plaudern.

Die Bediensteten hatten Tag und Nacht zur Verfügung zu stehen und auch bei intimeren Verrichtungen zu helfen – der französische Adel zur Zeit des Sonnenkönigs pflegte bei Gartenfesten Pisspagen zu beschäftigen: Auf dem Gelände liefen Pagen mit Eimern herum, damit die Herrschaften beim Feiern nicht erst die Toiletten aufsuchen mussten, die es vermutlich ohnehin nicht gab. Welche Hilfen die Damen mit ihren unpraktischen Reifröcken von ihren Kammerzofen benötigten, verschweigt die Geschichte diskret – aber dieser offensichtliche Wegfall der Schamgrenzen definiert die Beziehung zum Bediensteten ein weiteres mal: Du bist so wenig Mensch, dass ich mich nicht einmal vor Dir schäme. Man schämt sich ja auch nicht, wenn einem der Hund beim Pinkeln zusieht. Heute haben’s die Damen besser, by the way: Auf YouTube grassieren Videos, die gegenwärtigen Bräuten mit Reifröcken beibringen, wie man vor der Trauung noch schnell aufs Klo geht ohne die ganze Kledage nochmal ausziehen zu müssen.

Es bedurfte erst der Einflüsse des Kommunismus und Marxismus in den sogenannten unteren Ständen, so etwas wie Klassenbewusstsein und Klassenstolz zu entwickeln, ein Aufatmen in der Geschichte bis zum Auftreten des Liberalismus und seiner Anything-goes-Philosophie, die die Arbeiter veranlasste, den Anschluss an das Bürgertum und seinem Rattenrennen nach Wohlstand anzustreben, anstatt sich zu solidarisieren. Soweit meine Marginalien zum historischen Hintergrund.

Der vorliegende Film beginnt im Jahr 1956 auf einem feudalen Landsitz in England, weist dann aber zurück in die Zeit nach dem ersten Weltkrieg und dem Aufblühen des Nationalsozialismus, den England zunächst durchaus goutierte – appeasement nannten das die Gentlemen damals und die Politiker pflegten sich bei den Feudalen einzufinden, um ihnen die für den Krieg benötigten finanziellen Mittel aus den Rippen zu leiern, was natürlich hochgestochener ausgedrückt und mit altbackenen Idealen und tradierten Werten garniert wurde. Der Film zeigt das Leben des untadeligen Butlers Stevens, ein furioser Parcours für den vielseitig verwendbaren Anthony Hopkins, der in seinem feinst austarierten, aber immer minimalistischen Mienenspiel eine breite Palette an sonst unsichtbaren Gefühlsregungen auszudrücken versteht; in der Gesamtkörpersprache wirkt er oft eher wie ein geprügelter Hund oder in ein unsichtbares Korsett gesperrt. Als Bediensteter ist er perfekt, beherrscht alle Codes und Rituale des Understatements und der Unterwerfung gegenüber dem Dienstherrn, auch als sein Vater plötzlich verstirbt, verliert er nicht die Contenance und serviert brav weiter das Dinner der hohen Herren, das verlangt seine Dienstbotenehre. Jüngere Generationen würden ihn für einen Chatbot halten. Das ist kein Bediensteter der nach Feierabend (den es ohnehin nicht gibt) mit den anderen Domestiken über die Herrschaft lästert, er ist durchdrungen von einer Identifikation mit seinen Herrn, die kaum noch Individualität durchschimmern lässt – wenn, ja wenn die kleinen mimischen und gestischen Signale nicht wären. Seine Loyalität versagt auch nicht, als der Lord sich zu offensichtlich mit den Zielen der Nationalsozialisten identifiziert und zwei jüdische Hausmädchen ausliefert. Hier wird es gruselig – die Figur bekommt die Züge eines Mitläufers, Zuarbeiters, Mitwissers – hier können wir ihn nicht mehr einschätzen, fürchten das Abgründige im Undurchschaubaren. Ein heimlicher Faschist? Wir werden es nie erfahren. Das ist fesselnd zu beobachten und wirkt eher anrührend als abstossend, wenngleich gelegentliche Seufzer im Publikum signalisieren, dass diese Überanpassung auch Beklemmung und Gereiztheit erzeugt und gelegentlich als Sturheit ruchbar wird. Aber er versteht es, Leerräume zu lassen, die wir mit unseren Phantasien über ihn füllen können, auch das eine Kunst von Schauspieler und Regisseur. Dabei vermeidet letzterer geschickt die Darstellung der Rituale der Herrschenden ins Groteske oder gar Komische abgleiten zu lassen, wodurch der Film in wohlfeiler Sozialkritik verpuffen würde. So verbleibt er bis zuletzt im Reich der Tragik.

Die Wirtschafterin des Hauses, hinter deren Comme-il-faut-Attitüde unterschwellig das Leben und das Begehren brodelt, lehrt ihn, was Verliebtsein bedeutet und sendet unmissverständliche Signale ihrer Beziehungswünsch, die Stevens nicht beantworten kann, die der Zuschauer aber bemerkt in einem plötzlichen Weichwerden seines Blicks, einem etwas zu langen Blickkontakt, einem kurzen Verzögern der Antwort, einem minimalen Schwanken der Stimme – man erahnt das Innenleben, die Kamera bleibt immer nahe an den Gesichtern. Mehr geht nicht bei diesem Mann, auch nicht bei einem Wiedertreffen nach Jahrzehnten, als er sie auf das Anwesen zurückholen möchte im zunehmenden Bewusstsein seiner Versäumnisse.

 
 

 
 

Was wir zuletzt von ihm sehen, ist der Blick nach einer Taube, die sich in einen Raum des Anwesens verirrt hat und erst eingefangen und ins Freie entlassen werden musste, wo sie rasch das Weite sucht. Stevens blickt ihr hinterher und schliesst dann das Fenster, verbleibt in seiner abgeriegelten Welt … und man denkt unwillkürlich an La Paloma, ein Lied, in dem die Seele eines Verstorbenen in Gestalt einer Taube zur Geliebten kommt, zum Ende doch noch eine kleine romantische Arabeske.

 
 

                  

 
 

Ein kritisches Porträt einer Gesellschaft der Klassen und Hierarchien und ihrer dahinterliegenden Abgründe, ein feiner stiller Film über einen stillen Mann und dessen Ersticken in Konventionen, sein Lebensscheitern an den eigenen Begrenzungen und Zerstörungen und ein Film über Dinge, die nicht geschehen und Gefühle, die nicht gelebt werden durften. Und eine Insel der Ruhe im ganzen Blockbustergetöse.

 

       

 
 

Der Russe ist einer der Birken liebt (D, 2022) von Pola Beck

nach den Roman von Olga Grjasnow

 
 

… und in diesen Spiegel lässt uns die Regisseurin blicken: Trümmer, Fragmente, Bruchstücke eines jungen Lebens, das sich nicht zu einem geschlossenen Ganzen fügen will. Sie mutet uns viel zu mit diesem Film, man merkt bald, dass man den Kopf abschalten und auf nachvollziehbare Handlungsstränge und zeitliche Abfolgen verzichten muss, um der Atmosphäre von Diffusion und Zerstörung nachspüren zu können. Mascha, eine junge Frau, Jüdin aus Aserbeidschan, ist 1990 im Bürgerkrieg nach dem Einmarsch der Sowjets mit ihren Eltern nach Deutschland geflüchtet. Das Ausmass ihrer Traumatisierung bleibt im Dunklen, wie Mascha selbst ist der Zuschauer beschäftigt Splitter ihrer Persönlichkeit zu einem Ganzen zusammensetzen zu wollen, ein Blick in einen zersplitterten Spiegel, der einzelne Facetten in jeder Scherbe anders widerspiegelt.

Mascha ist jung und wild – wir sehen sie mit ihrem Freund im Bett, danach plötzlich mit einem anderen, danach mit einer Frau. Die Szenerie wechselt ständig zwischen Deutschland und Israel, wir sehen sie beim exzessiven Feiern, Arbeiten, Liebemachen, über sich spricht sie mit niemandem. Emotionelle Tiefe wird deutlich, als sie für einen sterbenden Hasen weinend das Kaddisch spricht, bevor sie ihm den Gnadentod schenkt, wir erleben sie plötzlich als orthodoxe Jüdin. Zeitsprünge sorgen zusätzlich für den Verlust der Orientierung, oft auch für unterschwellige Gereiztheit. Getragen wird der Film von einer furios aufspielenden Aylin Tezel (leider auch bekannt für Dauernuscheln – was die Gereiztheit verstärken mag). Ausserdem spricht Mascha 5 Sprachen, arbeitet als Übersetzerin, sozusagen ein Global Player, überall in der Welt zuhause und doch auch irgendwie nirgends, am wenigsten bei sich selbst. Als ihr Freund plötzlich verstirbt, verliert Mascha den Boden unter den Füssen, flieht nach Israel. Ihre Freunde berichten ihr von einer Birke in einem Wald bei Jerusalem, wundern sich, dass diese in diesem Klima gedeiht. Diese Birke wird zum tragenden Schlussbild als Symbol für Leben und Wachsen in einer fremden Welt: Mascha weint, trauert um ihren Freund und fotografiert sich selbst dabei, trägt die Fotos bei sich, wohl als Anker und Erinnerungshilfe an ihre Trauer in dem Wunsch nach einem ganzheitlichen Erleben der eigenen Person. Sie sucht die Birke auf und steckt die Fotos im Schlussbild in einen Spalt in der Rinde – Geborgenheit bei jemand der beweist, dass man sich auch in der Fremde verwurzeln kann. Eine anrührende Szene.

Der Film wird der komplexen Literaturvorlage nicht gerecht, man erfährt nichts über die politischen Hintergründe und Maschas Kriegstraumatisierungen – aber das macht nichts; die Regisseurin formt eine eigene Geschichte und schafft es, das Lebensgefühl und die Suche nach Identität und Kontinuität mit filmischen Mitteln dem Zuschauer quälend nahezubringen – man muss sich nur hineinfallen lassen.

 

2025 7 März

„slow motion“

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a u d i o

 
 

2025 6 März

Sind Narzißten dämlich?

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Manchmal benehmen sie sich wie auf dem Schulhof, in der Tat, in ihren Ausagen, in ihrer Diktion, ihrer Sprache und ihrer Art der Auseinandersetzung, in schlimmen Fällen sogar in ihrer Gestik. Und gelegentlich benehmen sie sich auch wirklich wie tobende Vierjährige. Manchmal sind sie sogar dämlich, aber haben geschickte Berater und sind zumindest schlau genug, deren Strategien zu folgen. Dazu gehört ein Minimum an Erkenntnis, dass man’s allein doch nicht so ganz hinkriegt. Immerhin. Vor allem sind sie gute Strategen und Meister der Manipulation und haben sich wohl überlegt, wie man einen früheren politischen Gegner, den das Volk immer noch nicht so besonders mag, zusehendes zum politischen Freund formt, um gemeinsam Reibach zu machen und so eine Abart von Weltherrschaft anzustreben. Dazu gehört natürlich, dass man wiederum dessen Kontrahenten wie einen Schulbuben abkanzelt. Das ist kein schlechtes Manuskript für derlei Pläne und dürfte seine Wirkung nicht verfehlen, insbesondere bei ähnlich strukturierten Herrschaften. Nur: Warum kommt’s bei dem hier gemeinten Herrn immer so besonders infantil-trampelig rüber? Liegt’s am Nachnamen? Etwa doch dämlich? Oder weiss er genau was er tut? Und dass ihm keiner ans Bein pinkeln kann, egal wie er seine Worte wählt?

          Die gefährlichste Mischung überhaupt….

 


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