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Wenn die Conny mit dem Peter (D, 1958) von Werner Jacobs

 

Der Titel (dem Ohrwurm aus dem „Weissen Rössl“ entlehnt – „Wenn der Toni mit der Vroni …“) klingt schon so nett anzüglich und verspricht pikante Dinge, die dann aber doch nicht stattfinden. Wer dabei unzüchtige Gedanken entwickelt, der wird in dieser Zeit schlecht bedient: Sexualität findet hier nicht statt – in den Filmen dieser Jahre generell nicht und Hildegard Knefs blanker Busen – in respektvoller Entfernung abgelichtet – war der grosse Skandal dieser Jahre (Die Sünderin, 1951).

 
 

 
 

Die Schüler eines Internats (Milieu: deutsches Bildungsbürgertum mit outgesourcten Kindern) proben nicht den Aufstand, aber haben durchaus eigene Interessen, die mit denen der Erwachsenenwelt natürlich kollidieren: Sie gründen eine Band und spielen Rock und Boogie Woogie. Wenn ein Lehrer in die Nähe kommt, wird rasch wieder Mozart intoniert – Schein-Anpassung statt offener Revolte und auch kein Kampf um einen Minimalkonsens wie beispielsweise den eigenen Gusto ausleben zu dürfen, Interessenverwirklichung nur im Untergrund.

Dabei hatten wir ja immerhin schon 1958 und die Kultur und Musik des Feindes – d h der amerikanischen Besatzer – war bereits fest etabliert in der sich bildenden Jugendkultur (auch die gab’s vorher noch nicht) und die Plattenindustrie hatte sich bereits ihre Claims zum Schürfen abgesteckt – Polydor und Electrola produzierten damals ihre kleinen Scheibchen a 5 Mäuse für den zum Dauerbetrieb verurteilten Zehnplattenwechsler.

Trotzdem gab es noch den Nachhall der „entarteten Kunst“. Vulgo sprach man damals abfällig von „Negermusik“, eine schwierige Stimmungsgemengelage für die Kinder von Marx und Coca Cola im Stellungskrieg der Generationen.

Natürlich besteht die Band ausschließlich aus Jungs, Conny darf singen und ein bisschen Klavierspielen, die restlichen Mädels sind hübsch und in gesellschaftlich erlaubtem Masse verführerisch. Die Jugend ist gehorsam gegenüber den normsetzenden Autoritäten, soweit können wir hier beruhigt sein. Jeder Rapper würde hier vor Lachen mitten im freeze zusammenbrechen.

 
 

 
 

Der substream „Trumpf im Ärmel“ ist noch nicht überholt und greift hier erneut, diesmal in der Umkehrung „Mächtiger spielt Underdog, um zu sehen wie sein Laden läuft“. Ein Versteck- und Entlarvungsmotiv in einer Zeit, in der sich die jüngere Generation vor die Frage gestellt sah, wie viele Nazis in dieser Zeit noch unbehelligt unter ihren Tarnkappen lebten und eine neue Karriere starteten; wie die eigenen Eltern wohl zum Faschismus standen und ähnliches. Eine grosse Ungewissheit über die politische und menschliche Integrität des anderen – zumindest für die, die sich nicht in die Verdrängung verdrückten und einfach zur Tagesordnung übergingen.

Keine Epoche hat im Kino mehr Verwechslungskomödien mit anschliessenden Entlarvungsszenarien produziert als die Nachkriegszeit. Der nette Kellner ist in Wirklichkeit der Hotelbesitzer, das Zimmermädel die Nichte des Direktors, die Erntehelferin in Wirklichkeit die Gutsbesitzerin, die Gräfin eine Hoteldiebin und vice versa. Bist Du der, der Du zu sein vorgibst, wer bist Du wirklich? Warst Du Täter, Opfer, Mitläufer oder chronischer Nichtwisser und wie kann ich Dich entlarven? Viele drängende Fragen – ins Unbewusste zurückgeprügelt, weil Funktionieren angesagt war. Und Scham und Schuld schwer erträgliche Affekte sind.

Im lustigen Internat kommt nun der Besitzer als Hausmeister in die Einrichtung, findet Gefallen an den adretten und höflichen jungen Leuten trotz der schrägen Musik, bekommt von Conny ein Küsschen, ruft das intolerante Lehrerkollektiv zur Ordnung und am Ende gibt es Absolution von allen für alles – in einer Katharsis von grandioser Harmonie und Versöhnung zwischen den Generationen und eine wohltuende Spannungslösung beim Publikum. Der nette Understater als Vaterfigur im Besitz aller Machtmittel, die er aber nicht nützt, obwohl er es könnte.

Statt dessen werden Konflikte nivelliert und die ganze Gemengelage mit Vanillesoße begossen – so hätten sie’s gerne gehabt, die Alten – keine Aufarbeitung, keine Bestrafung, Vanillesoße drüber, die alles unter sich begräbt und eine neue starke Führerfigur mit den Potenzen, im späteren Konfliktfall wieder draufhauen zu können. Der Greis vom Rhein befriedigte diese Bedürfnisse offenbar nicht – höchstens das nach Vanillesoße. Am Tag, als man anfing die Mauer zu bauen, spielte er Boccia in Italien, ballerte die Kugeln ins Nirgendwo und sah keinen Grund, nach Berlin zu kommen. Aber immerhin schon Italien und nicht der schöne Westerwald …

Conny und Peter, natürlich ineinander verknallt, leiten den nächsten substream dieser Zeit ein: In der Schlussszene enteilen sie in den Wald – nicht um zu tun, was Pärchen dort eben so tun – sondern sie singen den Hit dieser Zeit: Ich möcht mit Dir träumen, vom silbernen Meer.

Das leitet eine neue Phase im Film- und Schlagergenre ein: Es wird nicht mehr nur die schöne Heimat gefeiert (angesichts der real zerstörten Umwelt ein kompensatorisches Muss zur Selbststabilisierung), sondern das Volk steckte einen Tentakel aus in Richtung Ausland aka Feindesland, man begab sich noch nicht dorthin, aber man begann davon zu träumen, das war noch kein Verrat an der deutschen Heimat, noch kein Fremdgehen, aber ein vorsichtiges Herantasten: Träume mit mir von der Südsee, von Hawaii, Cowboyromantik, Mexiko, Paris, in dem man nur von der Liebe träumt – eine Generation besoff sich an Träumen und schönen Bildern.

Ein paar Jahre später wagte man es wirklich und reiste mit der Isetta oder dem Käfer über den Brenner ans blaue Meer oder zumindest an den Gardasee. Jeder körperlichen Hinbewegung muss eine geistige vorangehen, sonst klappt’s nicht, also dauerte es wieder ein paar Jahre. Deutschland lernte also wieder laufen, halt noch nicht weit. In Italien warteten neue Mythen, mit denen man erneut die Realität vergewaltigen konnte: Idyllische Städtchen am blauen Meer, Dauersonne. Eselchen, die Körbe mit Orangen trugen, geführt von schwarzhaarigen Mädchen in bunten Röckchen, Gondolieri mit gestreiften Pullis, Mandolinenzirpen und anderes Osolemio, auch als Deko für die Wohnung neben der Schrankwand aus deutscher Eiche. Frische Luft, zumindest das.

 
 

 
 

Dieser Bewegung folgend verlagerten sich die Filmschauplätze zunehmend in südliche Gefilde mit reichlich Wasser, was wiederum die Bikini-Industrie erfreute, kein weiblicher Mensch trug noch die langweiligen Einteiler.

Was fehlt noch in dieser Schmonzette?

Ganz klar – Frauen.

Neben hübschen Mädchen gab es nur noch die Knallcharge „ältliche Lehrerin“ (ältlich hiess in dieser Zeit etwa um die vierzig) und entsprechend unangenehm sich verhaltend. Das Frauenbild dieser Zeiten war entsprechend dreigespalten: hübsche junge Mädels, nette Muttis und Omis und weniger attraktive oder nervige berufstätige Damen. Den Wunsch der Frauen, in Beruf und Familie etwas mehr mitzubestimmen, griffen die Printmedien begeistert auf und kreierten eine neue Archetypologie von Weiblichkeit mit üblen Zerrbildern (Seht, was aus Euch geworden ist … oder zu werden droht wenn ihr Eure Plätze verlasst!).

 
 

 
 

 
 

Soweit so schlecht …

Es sollte noch 20 Jahre dauern, bis im Pilotfilm der Reihe „Zur Hölle mit den Paukern“ (1978) der Schüler Pepe Nietnagel im Unterricht die Lehrer offen wegen ihrer braunen Gesinnung angriff, der Name Hitlers erstmalig auch im Trivialfilm ausgesprochen wurde, die Schülerstreiche einen sadistisch-rächenden Charakter bekamen und einer der zackigsten Lehrer in die Psychiatrie eingewiesen werden musste.

Ein Fortschritt in Sachen Frauenbild war noch nicht zu verzeichnen – süße Mädels und eine asexuelle, gespinnerte Lehrerin – gespielt von der unvermeidlichen Ruth Stephan, die auf die Rolle des weiblichen Buffos im Nachkriegskino abonniert war.

 
 

 
 

Im gleichen Jahr startete die Fernsehserie Holocaust in den USA und ein Jahr später in Deutschland und damit war das Geschehen der jüngsten Vergangenheit aus dem kollektiven Unbewussten ins Bewusstsein aufgestiegen und konnte versprachlicht werden. Der Begriff wurde durch diesen Film eingeführt und war vorher noch nicht bekannt – der lange Weg eines tiefliegenden Eiterherdes zur Entleerung, aber bis heute nicht zur Heilung.

 

2023 19 Juli

Baby Jane

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Wir Frauen seien alle Töchter von „La Birkin“, stand in einem der vielen Nachrufe. Ich sah sie gern, hörte sie gern und die Beauvoir las ich gern. Die BB war mir zu sexy, deswegen passte der Song von Gainsbourg viel besser zu der hoch erotischen Jane. Natürlich feierten wir das Hingehauchte „Je t’aime“, es war der vollzogene Höhepunkt der „Satisfaction“ von den Stones. Charlotte, ihre Tochter, zeigt eine etwas herbere Ausstrahlung in den Filmen, trotzdem sehe ich ihrer gelenkigen Freiheit sehr gerne zu. Dass ein Mensch so alleine stirbt wie Jane Birkin, hat mich traurig gemacht. Einige allein lebende Freunde haben begonnen, sich für den Notfall zu vernetzen. Gute Idee.

 

2023 17 Apr.

Im Labyrinth des Unbewussten

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Er erinnert sich daran, dass sie in seinem Fotografiekurs war, im Rotlicht der Dunkelkammer. Fotografien der Freundin, die ihr Ex von ihr gemacht hat, und die sie nicht rausrücken will. Eine Serie von Polaroids, die die Freundin von ihm macht, während er schläft. Die Beiden als Künstlerpaar, sie schlendern über Flohmärkte, die Freundin blättert in japanischen Comics aus den 60ern. Die Kamera immer dabei. Fotografien, die die Handlung weiterentwickeln, gehören zu den Schaltstellen in der Graphic Novel-Trilogie „X“, „Die Kolonie“ und „Zuckerschädel“ von Charles Burns, die zwischen 2012 und 2015 in deutscher Übersetzung bei Reprodukt erschien. Im Unterschied zu Black Hole, das eine Gemeinschaftserfahrung beschrieb, konzentriert sich die Trilogie auf die Figur des jungen Dough, der durch Raum und Zeit stolpert und verschiedene Identitäten annimmt. Erinnerungen brechen immer wieder ab, gleiten über in Träume, Visionen – ein Horrortrip. Kalifornien in den 70er Jahren: Punkkonzerte, auf denen cut up-Texte à la W.S. Burroughs das Publikum begeisterten, vorgetragen von einem Mann, dessen Markenzeichen ein Schattenriss seines Haarschopfs auf dem T-Shirt war, und eine Maske. Die Geschichte zieht sich über Jahre hin. Dough hat etwas zugenommen. Was hat sein Leben mit dem seines Vaters zu tun? Der Vater sitzt im Sessel vor dem Fernseher, der junge Dough stellt einen Sender nach dem anderen ein, aber der Vater schüttelt immer wieder den Kopf. Alles scheint egal und keine Entscheidung macht mehr einen Unterschied oder Sinn. Da ist immer wieder sein Zimmer, ein ungeschützter Raum. Wassermassen spülen die Matratze durch dicke Rohre auf einen reißenden Strom. Die Matratze wird zum Floß, hinein in eine Welt, deren Zeichen er nicht deuten kann. Oder die Leiter rauf auf den spärlich beleuchteten Dachboden mit der seltsamen Frau auf der Hinterbühne. Die Magie der Zahl 23, und was sind das für kleine Lebewesen, die sich im Rührei bewegen? [Das Bild durch Anklicken vergrößern.] Auch eine Schallplatte von Brian Eno läuft: Before and after Science.

 
 

 
 

Die letzten Seiten lösen das Trauma auf, das der Anlass war für den Trip, der Dough ins Labyrinth seines Unbewussten geführt hat. Matthias Manthe hat Burns Graphic Novel-Trilogie in seiner TAZ-Besprechung als eine der präzisesten kulturellen Darstellungen männlicher Subjektivität und Verstrickung überhaupt bezeichnet. Das scheint mir überbewertet, da es eine männliche Subjektivität und Verstrickung in dieser Allgemeinheit nicht gibt. Dennoch, es wird Déjà-vu-Effekte geben.

 

I

 

… in dieser Form noch nicht gesehen und in der ganzen Urgewalt, deren die Psyche fähig ist auf die Leinwand gebannt. Eine überbordende Fülle von impacts. Fasziniert war ich vor allem von dem fugengenauen Nebeneinanderlaufenvon äusserer Realität – die ist schlimm genug – und deren innerer Repräsentation im Seelenleben eines 11-jährigen Mädchens in einer Situation von hoher Bedrohung, zwischen Sekundär – und Primärprozess (Sekundärprozess ist der Denkbereich von Logik und Frontalkortex, Primärprozess ist die Bildwelt von Traum, Surrealismus und Psychose, a – logisch, metaphorisch, grenzüberschreitend).

Die kleine vaterlose Ofelia lebt zur Zeit des Bürgerkriegs im falangistischen Spanien unter Franco, ihre Mutter geht eine neue Verbindung zu einem Hauptmann ein, der in den Wäldern mit grausamen Mitteln gegen die Partisanen kämpft und das Mädchen von Anfang an ablehnt. Die Mutter ist schwanger.

Auf der Reise in das neue Zuhause gerät O. bereits durch ein geheimnisvolles Tor in eine faszinierend- bizarre Anderswelt ( eine Fee fungiert als Führer – in der klassischen Heldenwelt beginnt jede Reise mit der Ankunft eines Boten, der den/ die Held/in animiert sein sicheres Zuhause zu verlassen und die Reise anzutreten, wie Hagrid bei Harry Potter und Gandalf bei Frodo ) in der sie nach labyrinthischen Wegen ein unheimliches und schwer berechenbares Geschöpf erwartet: Pan.

 

 

Er macht ihr klar dass sie eine Prinzessin eines grossen Zauberreiches wäre, unter die Menschen gefallen und hoffnungslos vermenschlicht. Sie müsse 3 Prüfungen bestehen um zu beweisen dass sie würdig sei wieder in ihre unsterbliche Existenz zurückzukehren und den Thron neben ihrem Vater wieder zu besteigen.

Die reale Situation O.s, nebenherlaufend , ist desolat – eine Welt voller Krieg und Gewalt mit einem aggressiven Stiefvater; der Gesundheitszustand der Mutter verschlechtert sich mit Fortschreiten der Schwangerschaft.

Die erste Prüfung O.s ist eine Szenerie von Vergiften, Verschlingen, Ausstossen, eine Szenerie oraler Aggression: Eine riesige Kröte vergiftet die Wurzeln eines Baumes, der abzusterben droht . O. hat den Auftrag den Baum zu retten, sie muss die Kröte dazu bringen einen verschluckten Schlüssel auszuspucken der ihr das Tor zur zweiten Prüfung öffnen wird und sie zu töten, eine Szenerie für Zuschauer mit starkem Magen. Das Ausstossen von Giftigem und Tödlichen als Doppelmotiv ( die Kröte vergiftet, aber ist auch selbst vergiftet ) versinnbildlicht vielleichtdie Aggression O.s auf das in der Mutter heranwachsende Leben, das ihr diese zu rauben droht. Kinder machen keine grossen Unterschiede zwischen Oralem, Analem, Gastrointestinalem, Intrauterinem…alles eine Rein – Raus – Angelegenheit und dass der Storch das kleine Geschwister wieder mitnehmen soll ein ubiquitärer Wunsch.

In der zweiten Prüfung sieht sie sich in einer geheimen Höhle mit einem – zunächst noch schlafenden – „augenlosen Wesen“ konfrontiert, nackt und glatthäutig wie ein Embryo im Uterus, ins Hässliche verzerrt und von unendlicher Gier, das an einem reichlich gedeckten Tisch sitzt. Wandgemälde ringsherum deuten an dass es sich auch kannibalistisch gerne Lebewesen einverleibt.

Es beisst auch den Feen, die O. begleiten den Kopf ab. Obwohl O. von Pan gewarnt wurde nichts von der Tafel zu essen verzehrt sie zwei Trauben, die man als Symbol der mütterlichen Brust lesen könnte. Das Wesen erwacht, kann durch zwei in den Handinnenflächen placierte Augen nun sehen und beginnt Ofelia zu verfolgen, gewissermassen “ gehen ihm die Augen auf “ dass es hier noch einen Mitesser gibt. Es illustriert damit projektiv Ofelias Situation und ihren Hass auf das heranwachsende Wesen – Träume machen keine genauen Unterscheidungen zwischen Subjekt und Objekt , es existieren keine stabilen Persönlichkeitsgrenzen sondern die Beteiligten finden sich ständig ineinander wieder in ihren Wünschen, Begierden und Eigenschaften. Das kann verwirrend sein, muss es aber nicht, es genügt zu wissen dass man ausschliesslich von sich selbst träumt, facettenreich und dynamisch wie beim Blick in ein Kaleidoskop. Alles Fremde und Beängstigende zwingt zur gnadenlosen Selbstbegegnung wenn man den Spuren des eigenen Labyrinths zu folgen wagt.

Somit zeigt das augenlose Monster auch O.s Hilflosigkeit: Wie kann man kämpfen wenn man blind ist? Wie kann man sich verteidigen wenn man die Augen in der Handfläche schützen muss? Wie kann man kämpfen wenn einem die Augen über den grausamen Stiefvater geöffnet wurden , er aber O.s beide Augäpfel – Mutter und Bruder – fest in den Händen hat? Eine vielgestaltige Metapher.

O. entkommt nur knapp, sie zeichnet mit Kreide eine Tür, durch die sie hinausschlüpfen kann – aus unseren Alpträumen können wir nur selbst den Ausgang finden und im Unbewussten gelten die Gesetze der Magie, nicht der Mechanik.

Der Zustand der Mutter verschlechtert sich weiter. Pan rät Ofelia eine Alraunenwurzel unter das Bett der Mutter zu legen und diese mit Milch und ihrem Blut zu ernähren. Die Alraune besitzt etwa die Proportionen eines verschrumpelten Neugeborenen, auch bewegt es sich so und schreit misstönend – ein apotropäisches Symbol. Dieser Zauber soll der Mutter helfen. Ofelia nimmt sich also in einer Art Notreifung – wir kennen das bei Kindern aus broken homes – mütterlich dieses externalisierten Geschöpfes an um sich die Mutter zu erhalten, sie spendet ihm sogar Milch, die sie heimlich besorgen muss. Der Hauptmann und ihre Mutter entdecken aber das Geschöpf unter dem Bett, unterstellen O. damit böse Absichten, die Mutter wirft die Alraune ins Feuer, zerstört damit den magischen Schutzraum den O. um ihre kleine Familie geschaffen hat. Gleichzeitig setzen bei der Mutter die Wehen ein und sie stirbt bei der Geburt eines Sohnes.

Der dramatische Kampf zwischen Gut und Böse in O. ist entschieden, O. raubt das Brüderchen, zu dem nun eine Bindung aufgebaut ist – es gibt jetzt auch nichts mehr um das man rivalisieren könnte; die Mutter ist tot – vor dem Zugriff des Hauptmanns und bringt es zu Pan, der angelegentlich mit einem spitzen Dolch hantiert. Er stellt ihr die 3. Prüfung: Um sie in ihr angestammtes Zauberreich zurückzubringen benötigt er noch 3 Tropfen Blut eines unschuldigen Opfers, nichts sei unschuldiger als ein Baby. O. aber weigert sich ihm das Kind auszuhändigen, die quälende Geschwisterambivalenz ist fürs erste gekippt in eine Haltung von Schutz und Solidarität, in ihrer Integrität ähnelt sie nun Hamlets Ophelia. Ambivalenz und diese zu empfinden und zu halten ist eine Fähigkeit und kein Defizit, sich trotzdem für das Schützende und Lebensfreundliche zu entscheiden ist ebenso eine. O. hat in kurzer Zeit einen langen und schweren Entwicklungsweg zurückgelegt.

In diesem Moment kommt es zum Kollabieren der beiden Welten, sie existieren ineinander verwoben, der Hauptmann , der O. verfolgt hat holt sie ein, erschiesst sie und bemächtigt sich des Kindes, Pan ist für ihn unsichtbar. O.s Blut tropft in das steinerne Labyrinth, das Opfer ist vollbracht , O. darf mit Pan in ihr ursprüngliches Reich zurückkehren und den Platz zwischen ihren Eltern einnehmen. Die Partisanen erschiessen den Hauptmann und nehmen sich des Kindes an.

 

 

Die Figur des Pan verdient auch noch besondere Würdigung als Herrscher über das Reich der Triebe, von Lust, Sexualität und Fortpflanzung, eine Figur, die ein Mädchen am Beginn der Pubertät aus ihrem mädchenhaften Dornröschenschlaf in die Welt des Frauseins führen könnte. Pan ist der Bocksgott, ein Mensch – Tier – Hybrid, sein Reich ist nicht lieblich sondern hitzig, schwül und lüstern. Hier bricht der Film auch mit der hellenistischen Tradition indem er Pan nicht als Herrscher sondern als Bediensteten eines Menschenkönigs darstellt.

Aufgrund der starken Notbindung an die Mutter und die Unwirtlichkeit der Welt, die sie nun betreten soll wird Ofelia daran gehindert die dazu nötige Autonomie zu entwickeln und den Mut zu haben dieses schwüle Reich zu betreten denn ihre Hilfe wird noch in der Kinderstube gebraucht, im kindlichen Überlebens – und Konkurrenzkampf ist noch kein Platz für Rosenlaubenromantik. Auch im Märchenreich, das sie schliesslich betreten darf ist kein Prinz in Sicht, nur narzisstische Belohnung auf übermannshohen Thronen und ein Verbleiben in der Rolle des Töchterchens bei den Eltern. Wünschen wir dass es weitergeht und nicht endet wie in dem Märchen das Ofelia zu Anfang des Filmes ihrem Brüderchen – dessen Geschlecht als elterliche Wunschphantasie offenbar ab Zeugung schon feststeht – im Mutterbauch erzählt. Es handelt von einer Rose die dem Menschen der sie berührt Unsterblichkeit verleiht. Aber ihre Stacheln sind tödlich giftig so dass kein Mensch es wagt sich ihr anzunähern, sie muss verwelken denn die Angst vor Gift sei bei Menschen stärker als der Wunsch zu berühren. Und manchmal ist aber auch der Wunsch nach Schutz grösser als der Wunsch selbst berührt zu werden. Eine Botschaft über Angst, Sehnsucht und schweren Prüfungen und Gefahren die die Prinzen hier bestehen und überwinden müssen. Eine Kindheit voller Gefahren erzeugt Stacheln die so mancher später nicht wieder einziehen kann.

Der Film spaltet offenbar: In einer Filmgruppe mit vorwiegend Geisteswissenschaftlern wurde er als „Kitsch und Trash“ abqualifiziert, die Verflochtenheit der Handlungsstränge eher als unmotiviertes Nebeneinanderherlaufen zweier Ebenen gesehen und ich fühlte mich wie Ofelia am Anfang des Filmes in einer verständnislosen Umwelt und klammerte mich an mein Manuskript wie diese in der Kutsche an ihr Buch. Würde man Märchen und Mythen als Kitsch abqualifizieren?

In einem Seminar mit künftigen Kinderanalytikerinnen über Geschwisterbeziehungen gabs Zoff wegen der Gewalttätigkeiten im Film, dabei war ich lieb und habe die Folterszenen ohnehin herausgeschnitten. Diese archaischen Bilderwelten sind offenbar nicht für jedermann verträglich.

 

2022 8 Okt.

„Zum Beispiel Pans Labyrinth“

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Seitdem dieses Jahrhundert auch schon wieder zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hat, kann man den Ausdruck „Jahrhundertfilm“ anders verstehen. Jeder hat für sich ein paar Favoriten in den letzten 22 Jahren ausfindig gemacht, für mich zählen, aus der Hüfte geschossen, folgende Filme dazu: „The Duke of Burgundy“, „1917“, „Locke“, „Nomadland“, „Portrait of a Woman on Fire“, „24 Frames“, First Man“, „Prisoners“ – und „Pans Labyrinth“ von Guillermo del Toro aus dem Jahre 2006. Demnächst wird Uschi diesen Film hier vorstellen, und ich freue mich, etwas später Del Toro’s Version von „Neo-Noir“ anhand seines jüngsten Werkes, „Nightmare Alley“ aufzuschlüsseln, zu dem Mark Kermode anmerkte: „From its bruised colour palette to its spiralling descent into madness and degradation, this is deliciously damnable fare, looking back through the prism of Del Toro’s adventurous oeuvre to the existential angst of his vampiric feature debut, Cronos“. Eine Einladung an alle Interessierten (mit starken Nerven), sich diese zwei Filme mal anzuschauen, bevor hier zwei Psychologen*innen resp. „Abgrundforscher*innen“ ein wenig Licht in soviel „Noir“ bringen.

 

Es schien alles ganz normal, als ich gestern das alte Ritual beging, meine Runde über und unter dem roten Kliff zu drehen. Normal gerate ich in einen leicht meditativen flow, der Kopf wie leer gefegt: eine kleine Atemkonzentration, die  Gedanken hierhin und dorthin lenkt, schwebend, flüsternd, leisetretend. Aber dann dachte ich doch etwas länger an Peter Laughner, an den sich die wenigsten von euch erinnern werden. Er war ein Musiker aus Cleveland und gelegentlicher Musikrezensent, der im Juni 1977 im Alter von 24 Jahren an akuter Bauchspeicheldrüsenentzündung starb. Ungefähr ein Jahr zuvor, im März 1976, schrieb er eine vernichtende Rezension von Lou Reeds „Coney Island Baby“ für das „Creem Magazine“, im Stil von Lester Bangs (der selbst weitgehend ein  Lou-Reed-Verächter war).

Ich selber besass die Platte einmal, meine Erinnerung ist undeutlich, aber ich glaube, ich mochte einige Songs und Atmosphären des Albums (und gab es da nicht auch ein wunderschönes Liebeslied?) – ich hätte ihm wahrscheinlich drei oder dreieinhalb Sterne gegeben. Ich holte meinen museumsreifen Sony Walkman raus, und liess diesen einen Song aus dem neuen Album „Dark In Here“ der Mountain Goats. Übersetzt liest er sich ungefähr so:  

„Man stelle sich eine Zeit und einen Ort vor / Empfindungsfähige Objekte, die im Raum treiben / Versuchen, die notwendigen Berechnungen zu machen / Versuchen, den geheimen Pfad zu finden / Stumm gewordene Meere in der Spiralhülle / Als du fielst. / Fackeln brannten, um den Weg zu erleuchten / Der ganze Treibstoff verbrannt in nur einem Tag / Wird es einen anderen Weg geben? / Das wirst du nicht sagen können / Du, der du den alten Zauberspruch mitnahmst / Als du fielst / Zu hart zu lange verletzt und zu jung gestorben / Silberdollar glitzert auf deiner Zunge / Möge dein Durchgang gesichert sein / Mögen alle deine üblen Leiden dort geheilt werden / Systeme schließen sich an mehreren Fronten / Du wirst immer einmal hier gewesen sein / Die letzte Wildkatzenquelle des Westens / Als du fielst.“  

Diese Verse darf man auch erstmal auf sich wirken lassen. Das Lied wird von den Mountain Goats mit luftiger Würde  vorgetragen wird. Wie gesagt, um der Magie des Albums nahezukommen, sind die Texte unerlässlich. Ich lese hier und da Besprechungen, die sich schlicht an der Coolness einiger Melodien erfreuen, und dabei einfach ausblenden, welch verstörenden  Schrecken sie von Fall zu Fall  in Wort und Bild verbreiten. Nun weiss ich nicht, ob John Darnielle „Coney Island Baby“ liebte – auf jeden Fall ist es spannend, wie er in diesem Song an Peter Laughner erinnert, an seinen Verriss der alten Lou Reed-Platte.

Es schien also alles ganz normal, als ich gestern das alte Ritual beging, meine Runde über und unter dem roten Kliff zu drehen. Mein Gedanken wanderten hierhin und dorthin, und manchmal in dieselbe Richtung wie die Füsse. Aber dann stockte ich. Die Max-Frisch-Steintafel war verschwunden. Kein einziges Mal ging ich im letzten Jahr achtlos an ihr vorbei, stets hielt ich an, und inhalierte die Naturbeschreibung des Schweizers geradezu – eine Yogaübung verlangsamten Lesens. Jetzt aber war die Steintafel fort, die hier seit Jahrzehnten ihre Arbeit verrichtete, die darin bestand, einfach da zu sein. Ich fragte zwei Ureinwohner der Insel, aber keinem war etwas aufgefallen, keiner hatte etwas über einen Kulturraub gelesen. Ich fragte mich, ob ich träume. Ich fragte mich, ob ich zu sehr im Song der Mountain Goats aufgegangen sei, oder in meiner Erinnerung an ein fast vergessenes Album von Lou Reed, als ich Max Frischs Nachtgedanken passierte. Ein kleines Inselrätsel.

2021 24 Juni

Lou Reed: Coney Island Baby (1976)

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Ich habe mich, auch nach Jahrzehnten, nicht geirrt (was sonst gewiss häufiger vorkommt!) – es gibt einen hinreissenden Lovesong auf „Coney Island Baby“, der „Coney Island Baby“ heisst und nahtlos in den Kosmos von „Astral Weeks“ gepasst hätte, so gut ist er tatsächlich. Lou Reed war damals, 1976, auf den Hund gekommen, seelisch, körperlich, finanziell. Und was für Kinder des Ruhrgebiets die Cranger Kirmes war (auf der ja wohl auch die Geister dunkler Zeiten verscheucht wurden), war für waschechte New Yorker Coney Island, eine Ort, an dem es, wie Stuart Berman, schreibt, „immer 1953 ist, eine Jahrmarktsfantasie, die aussieht, als würde sie gleich von der imposanten, endlosen Weite des Atlantiks verschluckt werden. Coney Island fühlt sich an wie der letzte Halt vor dem Ende der Welt. Es ist unsere kollektive Vision des bevorstehenden Todes, groß geschrieben in Riesenrad-Lichtern und Zuckerwatte: Ein letztes Aufblitzen von Kindheitsnostalgie, bevor wir in der Leere verschwinden.“ Also etwas grösser und existenzieller angelegt als eine Kirmes mit Auto-Scooter und Geisterbahn im Kohlenpott – eine historisch verbürgte Schattenwelt. Und genau dort zog es den jungen Lou hin, um sich am eigenen Schopf, und mit einer formidablen Band, aus dem Sumpf zu ziehen. Es gibt auch hier nachtschwarze „Partysongs“, die aus billigem Sex, Koks und Todesnähe gebastelt sind, aber es gelingt dem Mann am Abgrund, eine Handvoll schwebend-leichte Lieder aus dem Ärmel zu schütteln, die nicht in Alpträumen versinken, sondern so etwas wie feinen Beobachtungsssinn an den Tag legen, die Gitarrenluftigkeit eines Eric Clapton, die Bereitschaft, sich der eigenen Normalität zu stellen, und vielleicht sowas wie Liebe zu finden. So kannte man ihn vorher nicht. Ich gebe dem Album, das ich heute zum ersten Mal seit 1976, 1977, 1978, um den Dreh rum, gehört habe, dreieinhalb Sterne, und ein Lächeln mit auf den Weg.

2021 15 Apr.

„Bringing Up Baby“ (1938)

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„Die Funken fliegen, wenn Cary Grant und Katharine Hepburn in einem der schnellsten und lustigsten Filme, die je gedreht wurden, aufeinander losgehen – ein Hochseilakt der Erfindung, der die amerikanische Filmkomödie zu neuen Höhen der Absurdität führte.“
So bringt es Criterion auf den Punkt, und wer bis Juli wartet, kann den restaurierten Film in einer neuen Edition der amerikanischen Filmenthusiasten bestaunen, mit vielversprechenden Extras. Wer aber den schnellen Kick bevorzugt, wartet, bis es dunkel ist, und schaut sich diesen Film, im amerikanischen Original auf YouTube an. Viele alte Streifen, selbst von Cracks wie Herzog oder Truffaut oder Wenders, produzieren bei mir heute lang nicht mehr das Staunen, die Verblüffung, das Atemlose, von damals. Anders geht es mir, zumindest in bestimmten Aspekten des Wieder-Sehens und  Wieder-Entdeckens, mit Klassikern von Hitchcock, des film noir – oder solchen screwball comedies wie „Bringing Up Baby“. Warum, keine Ahnung (muss ich auch gerade nicht ergründen). Lieber her mit einem herrlich grasigen Sencha-Tee (grün, dekoeffiniert), dem Abenddunkel, und Katherine und Cary in Hochform!

 

2018 5 Dez.

Babylon Berlin

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By the way, during the recent couple of days I’ve read Volker Kutscher’s novel „Babylon Berlin“ (German title: „Der nasse Fisch“) that became the template for the TV series. A good read! But the more I got through the book, the more the TV adaptation got ridiculous. It’s really unbelievable how the TV series violently deformes the original characters and stuffs dramaturgical nonsense and all kinds of clichés into the plot until it squeaks, just to get what the makers seem to think is „Berlin in the Twenties“. The novel is a bit sluggish at times, but much better than the series, seriously. It’s annoying.
 
 
 

 

 

Als ich vor Wochen die bevorstehenden Alben dieser vier Frauen listete, war das mit Spannung und Vorfreude verknüpft. Jetzt, nachdem ich dieses „Quartett“ komplett gehört habe, war mir rasch klar, dass alle am Ende des Jahres in meiner Liste des Außergewöhnlichen landen werden. Es fällt gar nicht so leicht, die Alben kurz und knackig mit „One-Linern“ zu bedienen – so unterschiedlich sie in Audruck und Stilistik sind, all diese Songzyklen kehren Innerstes nach aussen, ganz gleich, welche Masken sie verwenden, welche Zeitzonen sie betreten. Es ist verblüffend, wie nah einem Cat Power (Chan Marshall) mit spartanischen Liedern voller Einflüsse kommt, aus denen ein altes verlorenes Amerika grüsst. Es ist bewegend, wie ungefiltert Marianne Faithfull In ihren Versen wohnt („it‘s open-heart surgery, darling!“) , und selbst ein vermeintlich goldener Oldie wie „It‘s All Over Now, Baby Blue“ ganz neue Dunkelheiten auslotet. Es ist faszinierend, wie souverän Aby Vulliamy mit dem erst spät entdeckten Instrument ihrer Stimme ein so verzweigtes und ohrwurmgesättigtes Stück Musik abliefert. Es ist schon staunenswert, wie radikal Julia Holter eigenen Improvisationen und Fantasien folgt – und die mäandernde Besprechung in der Novemberausgabe von „Mojo“ vertraute Namen des Eigensinnigen ins Spiel bringt, von Alice Coltrane bis Robert Wyatt. Wenn alles klappt, treffe ich Julia H. vor ihrem Konzert in Bochum, im November. Gerne im Cafe Tucholsky. Das wird ein interessantes Interview, versprochen!

 


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